Moore haben einen sehr schlechten Ruf. Und das ist nicht erst so, seit Sherlock Holmes den Grusel- und Gespensterhund der Baskervilles in einem Moor suchen musste (Franziska Tanneberger spielt kurz auf diese Geschichte an). Schon vorher nahmen Moore in Märchen, Legenden und Sagen gern den Part des Unheimlichen, Gruseligen, Gefährlichen ein. Das hat, wie auch Tanneberger zugibt, durchaus gute Gründe. Moore stellten jahrtausendelang für den Menschen echte Gefahren dar. Da war die ganz konkrete Gefahr des Sich-im-Moor-Verlaufens bzw. -Einsinkens, die dann ein ungerades Mal auch zu einer kostbaren Moorleiche für spätere Archäologen führte. Die Methan-Dämpfe, die sich oft selbst entzündeten und so als Irrlichter nächtlichen Spaziergängern vorgaukelten, das nächstgelegene Dorf zu sein, worauf sie sich im Moor verliefen mit den oben genannten Folgen, waren eine weitere Gefahr. Auch eine weniger konkrete Gefahr, aber eine bereits in der Antike erkannte, war die Tatsache, dass rund um Moore und Sümpfe tödliche Krankheiten auf den Menschen lauerten. Die wurden zwar lange ungesunden Dämpfen, den so genannten Miasmen, zugeschrieben, die aus den Mooren aufstiegen, führten aber dennoch dazu, dass sich die Menschen anschickten, das Wasser aus den Mooren abzuleiten, sie auszutrocknen. Im 19. Jahrhundert gab man ihnen auch an Überschwemmungen Schuld.
Fazit: Gegen Ende des 19. und dann praktisch das ganze 20. Jahrhundert hindurch beschäftigte sich der Mensch intensiv damit, Moore auszutrocknen. Es entstand eine ganze Industrie darum herum, inklusive der Entwicklung hochspezialisierter und hocheffektiver Maschinen. Heute wissen wir, dass wir der Umwelt und dem Klima damit einen Bärendienst erwiesen haben. Nirgends entweicht so viel CO2 aus dem Boden wie aus den ‚urbar gemachten‘ – will sagen in intensiver Landwirtschaft genutzten – ehemaligen Moorböden. Nirgends aber wird (bzw. würde) der Atmosphäre so viel CO2 entzogen wie in einem Moor. Die diesbezügliche Kapazität eines Moors übertrifft die einer gleich großen Waldfläche um das Vierzigfache.
Das sind – sehr vereinfacht – die wichtigsten Fakten, die uns Franziska Tanneberger in ihrem Buch mit dem simplen Titel Das Moor zunächst einmal präsentiert. Sie ist studierte Biologin mit Spezialgebiet Landschaftsökologie und beschäftigte sich schon im Studium intensiv mit Mooren, deren Flora und Fauna und deren in der heutigen Zeit so wichtigen Fähigkeit, CO2 aus der Luft zu filtrieren und im Boden aufzubewahren. Sie ist heute Co-Leiterin des der Universität Greifswald (wo sie studierte und heute auch lehrt) angeschlossenen Greifswald Moor Centrums (GMC).
Wiederum vereinfacht gesagt – wer genauere Informationen sucht, soll dieses Buch lesen, deshalb wurde es geschrieben – beschreibt Tanneberger nicht nur, wie sie persönlich zu ihrer Liebe zum Moor gekommen ist, was sie (wissenschaftlich) bei verschiedenen Mooren gesehen hat (sie kennt alle großen Moorgebiete – in Sibirien, in Indonesien, im Kongo und natürlich auch in Deutschland), was man machen müsste (muss!), um Moore zu erhalten oder wieder herzustellen, sie beschreibt auch alle Hindernisse vor allem politischer und ökonomischer Art, die es zu überwinden gilt. Lange nämlich wurden Moore ja immer nur trocken gelegt. Man kennt und weiß bis heute nichts anderes, nichts Besseres. Und immer noch erhalten Landwirt:innen, die solche Böden bebauen, den üblichen, nicht kleinen, finanziellen Zustupf des Staats. Eine Umstellung auf eine arbeitsintensivere Landwirtschaft auf Nassböden würde bedeuten, dass diese Subventionen verloren gingen und andere, neue, nur in geringerem Maß flössen. Tanneberger gibt uns in ihrem Buch auch Einblicke in die politische Lobby-Tätigkeit, die sie als Moorspezialistin und -erhalterin neben und zusätzlich zu ihrer rein wissenschaftlichen Arbeit auch noch leistet. Last but not least ist da dann auch noch die Überzeugungsarbeit bei den lokalen Landwirt:innen und Politiker:innen, die sehr zeitintensiv ist.
Ich will, wie bereits angedeutet, das Buch mit all seinen interessanten Details hier gar nicht erst zusammenzufassen suchen. Es gehört auf den Schreibtisch eines/r jeden, der oder die sich mit Fragen des Umweltschutzes und des Klimawandels beschäftigt – Politiker:innen ebenso wie deren Wähler:innen, wenn sie Wert darauf legen, dass auch ihre Enkel noch auf einer lebenswerten Erde wohnen können.
Zum Schluss aber doch noch dies: Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht in diesem Buch. Die gute ist, dass die Moore wieder nass gemacht und ihrer Funktion als CO2-Speicher wieder zugeführt werden können. Man muss nur wollen. Die schlechte ist, dass diese Moore, so weit wir das heute feststellen können, nicht mehr dieselbe Artenvielfalt beherbergen wie die ursprünglichen Moore. Vor allem einige Vogelarten scheinen ihren Lebensraum endgültig verloren zu haben. Ein Grund mehr, nicht noch mehr Moore trocken zu legen, nicht noch mehr Torf zu stechen, wie Tanneberger findet. (Und meine Wenigkeit ebenfalls …)
Im Übrigen erfüllt das Buch alle Voraussetzungen eines guten Sachbuchs. Klar und informativ geschrieben, mit einem Glossar und einem Quellenverzeichnis in den Endnoten (das auch als Literaturverzeichnis dienen muss) versehen, sowie – last but not least – einem Sachregister.
Franziska Tanneberger mit Vera Schroeder: Das Moor. Über eine faszinierende Welt zwischen Wasser und Land und warum sie für unser Klima so wichtig ist. Mit einem Vorwort von Tilo Jung. München: dtv, 2023.
[Es handelt sich aber nicht um ein Taschenbuch – das Buch ist etwas größer und weist einen Einband aus fester Pappe auf. Welche Rolle Vera Schroeder beim Verfassen dieses Buchs zukam, wird leider nicht erklärt – selbst in den gegenseitigen Danksagungen nicht. Wer bzw. was Tilo Jung ist und weshalb er zur Ehre kommt, ein vorwiegend mit persönlichen Anekdoten gespicktes Vorwort ohne weiteren Belang beizusteuern, ist mir ebenfalls nicht klar. Er muss wohl für irgend etwas berühmt sein …]