Es ist unmöglich, und mein innerstes Leben empört sich, wenn ich denken will, als verlören wir uns. Ich würde Jahrtausende lang die Sterne durchwandern, in allen Formen mich kleiden, in alle Sprachen des Lebens, um dir einmal wiederzubegegnen. Aber ich denke, was sich gleich ist, findet sich bald. – Hölderlin, Hyperion
S. 5
So lautet das Motto des Buchs. Man sollte Mottos und Widmungen bei Büchern ganz allgemein etwas weniger vernachlässigen – hier zum Beispiel finden wir in wenigen Sätzen das Hauptthema des Romans wieder.
Denn auch hier haben wir eine Liebesgeschichte vor uns. Anders als bei Hölderlin ist hier aber nicht die Frau zwar stark, aber der Mann noch stärker. Hier ist es vor allem die Frau, die für die gemeinsame Liebe kämpft. Aber ähnlich wie bei Hölderlin ist es auch hier nicht so, dass der eine der anderen untreu würde, sondern die Verhältnisse im Allgemeinen wenden sich gegen deren Verhältnis im Besonderen.
Martin und Anne, die Ich-Erzählerin, haben sich nach einer Theatervorstellung in der Stadt kennen und lieben gelernt. Sie ist Teil des Schauspiel-Ensembles, er führt eine kleine Gärtnerei ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Er lebt in seinem Elternhaus. Sein Vater war ursprünglich Bauer, hat dann aber nach dem Krieg, als sich die Landwirtschaft immer weniger lohnte, den größten Teil des Landes als Bauland verkauft und sich auf eine Blumengärtnerei konzentriert. Nach dem Tod der Eltern hat Martin seinen älteren Bruder Josef ausbezahlt und führt nun die Gärtnerei. Das alles erfahren wir aber erst nach und nach, in vielen kleinen Rückblenden.
Denn der Roman setzt gleich mit der Katastrophe ein. Anne wird ins Krankenhaus gerufen, wo er liegt. Er ist mit seinem Auto verunfallt. Zwar hat er überlebt, aber er weist Lähmungserscheinungen an den Armen auf und – er hat die Sprache verloren.
Den Rest des kurzen Romans begleiten wir vorwiegend Anne, wie sie versucht, zu Martin zurück zu finden, ihn für sich und das Leben zurück zu gewinnen. Anne führt dabei nicht nur einen Kampf gegen Martin selber, sondern vor allem einen gegen die Trägheit der Umwelt, die nur allzu rasch bereit ist, Martins Zustand als irreversibel zu betrachten. Nicht nur Josef, der Bruder, der noch nie ein gutes Verhältnis zu Martin hatte, reagiert so. Nach einem anfänglichen Aufbäumen resignieren auch die Ärzte im Spital. Das Spital ist zu klein für eine fest angestellte Logopädin, und so versucht Anne, deren Übungen mit Martin zu wiederholen. Sie möchte ihren Geliebten in eine Spezialklinik für Fälle von Aphasie überweisen lassen – aber da stellen sich ihr Hindernisse entgegen, die sich als unüberwindbar erweisen: administrativ-medizinische, denn man kann einen Patienten nicht einfach so von einem Spital in ein anderes überweisen; administrativ-juristische, denn die beiden sind nicht verheiratet, sie hat kein „Recht“ darauf, irgendetwas ihn betreffend zu bestimmen; menschliche, denn Josef hat seine Abneigung gegen seinen Bruder auch auf dessen Geliebte übertragen. Parallel zu diesen Kämpfen in der Gegenwart erfahren wir auch in verschiedenen Rückblicken auf verschiedene Zeiten, wie Martin dafür kämpfen musste, so zu sein, wie er war, als er Anne kennen lernte.
Da Josef der einzige Verwandte ist, den Martin noch hat, kann er nun bestimmen was geschieht. Oder eben nicht. Was geschieht: Er verkauft das Elternhaus und den väterlichen, vom Bruder übernommenen Betrieb. Damit macht er zugleich Anne heimatlos, die ihr Engagement in der Stadt beendet und ihre Wohnung dort gekündet hat. Drei vorübergehende Besucher:innen nicht eingerechnet, die Martin irgendwann und irgendwo einmal eingeladen hat, und die nun auftauchen. Es handelt sich um zwei Männer und eine Frau. Vor allem Lorenza, die Frau, läuft den ganzen Tag umher und fotografiert das Innere des Hauses, jedes Zimmer, jedes Möbelstück. Was sie mit den Bildern machen will, weiß niemand. Eines Tages verschwindet sie und die beiden Männer erhalten erst nach Wochen wieder ein Lebenszeichen von ihr. Das ist offenbar völlig normal und in Ordnung; die beiden reisen ihr ohne Murren nach und Anne ist wieder alleine.
Martins Zustand hat sich unterdessen ein wenig gebessert. Die Lähmungen sind verschwunden und er scheint erste Wörter zu verstehen und artikulieren zu können. Dennoch wird er eines Tages – weil im Spital für Langzeitpatienten kein Platz ist – in eine psychiatrische Klinik verlegt. Dort geschieht wenig mehr oder anderes mit ihm als schon im ‚normalen‘ Spital. Aber noch einmal muss Anne darum kämpfen, ihren Geliebten wiedersehen zu können. Auf ihre Anregung, ihn nach Italien zu verlegen, wo es Spezialkliniken gäbe, reagieren auch die Psychiater mit Achselzucken.
Hier hört der Bericht der Ich-Erzählerin auf. Aber nicht der Roman, denn zum Schluss finden wir noch eine Coda von der Länge einer Buchseite, kursiv gedruckt, und als Bericht eines neutralen Erzählers gehalten. Darin erfahren wir, dass Anne offenbar eines Morgens früh ihren Martin am Tor der psychiatrischen Klinik abgeholt hat und mit ihm weggefahren ist. Der Portier kann nur noch aussagen: Beide seien dann in Richtung des Ortes fortgefahren.
Wohin? Wir erfahren es nicht – das ist der letzte Satz. Als Lesende hoffen wir natürlich, dass sie es bis Italien schaffen, und Martin in einer Klinik daselbst wiederhergestellt werden kann. Realistischerweise aber müssen wir uns fragen, wie sie dahin kommen wollen. Anne hat noch ein paar Seiten vorher berichtet, dass sie nun mit dem Benzin ihres kleinen Autos sorgsam umgehen müsse, weil sie kein Geld mehr habe. Martin wiederum steht unter Josefs Kuratel und sein Bruder wird kaum Geld hergeben für eine so verrückte Reise.
Wohin also?
Ein in seiner Schlichtheit raffinierter Roman um eine große Liebe.
Ingrid Bachér: Das Paar. Hamburg: Hoffmann & Campe, 1980. [Leider offenbar nur noch antiquarisch greifbar.]