Hermann Broch: Der Tod des Vergil (vergeblicher? Leseversuch der xte …)

Es gibt so Bücher … Bücher, die man schon oft begonnen hat und die einem bei jedem neuen Versuch in Erinnerung rufen, warum man sie anno dazumal nicht zu Ende gelesen hat. Und mit jedem neuen Anlauf vermehren sich die Gründe, weshalb man wieder nicht zu einem gedeihlichen Abschluss gelangen wird.

Der Klappentext enthält eine typisch Thomas Mannsche Empfehlung (Thomas Mann hat so manches mit Lob und Anerkennung versehen, was ihm privatim keineswegs so lobenswert erschien, ob dies im vorliegenden Fall zutraf, weiß ich nicht, vielleicht würden die Tagebücher Auskunft geben): “Brochs ‘Vergil’ ist eines der ungewöhnlichsten und gründlichsten Experimente, das je mit dem flexiblen Medium des Romans unternommen wurde.” Wörter wie “inhaltsleer” zu steigern verbietet sich – und ob dieser Satz eine vernichtende Kritik oder denn doch ein verbrämtes Lob darstellt, wage ich nicht zu entscheiden. Hingegen weiß ich, dass ich vergleichbares Gefasel von mir gegeben habe, wenn ich aufgrund der Umstände (etwa mit dem in Frage stehenden Autor bekannt zu sein) mir Bösartigeres versagt habe.

Ein Buch von “metaphysischer Tiefe”, der Versuch des “totalen Romans” (was es mit der Totalität in literarischer oder philosophischer Hinsicht auf sich hat will sich mir auch nach Jahrzehnten geduldigen Lesens nicht erschließen, Begriffe wie “Absolutheit”, “das Ganze”, “das Wahre” erinnern an Hegelsche Wortwolken, sie werden in eins gesetzt – bei meiner derzeitigen Schnädelbachlektüre lese ich etwa, dass dieses Wahre das Ganze sei und Wahrheit (daher? – ist das ein Schluss?) die Übereinstimmung von Begriff und Wirklichkeit), ein Buch jedenfalls, welches offenbar Leersätze wie den oben zitierten geradezu herausfordert. Neben der inhaltlich-formalen Fragwürdigkeit auch ein zweifelhaftes stilistisches Vergnügen: Die Zahl der konstruierten Metaphern unendlich, ein Sich-Ergehen in abstrusen Pleonasmen (“oh Hand […], oh Finger […], lebendige Haut, oberste Oberfläche der Seelendunkelheit, aufgeschlossen in den erhobenen Händen“, meine Hervorhebung), vermeintlich poetischer Tiefsinn (“[…] oh Schwäche der Mutter, die selber Geburt ist und daher von der Wiedergeburt nichts weiß, nichts um sie wissen will, unfähig zu erfassen, daß Geburt, um gültig zu sein, nach Wiedergeburt verlangt, daß aber beides, Geburt wie Wiedergeburt, nimmermehr geschehen könne, geschehe neben beiden nicht das Nichts, stünde nicht das Nichts ewiglich und unabänderlich als letzte Zeugung hinter ihnen, ja, daß erst aus diesem unlöslichem Zusammenhang von Sein und Nicht-Sein in schweigend raunender Verschwisterung wesensgroß die Zeitlosigkeit aufzustrahlen beginnt, die Freiheit der Menschenseele, untrügerisch ihr Ewigkeitslied, kein Wahngebilde, keine Überheblichkeit, wohl aber unverhöhnbar das Schicksal des Menschen, die furchtbare Herrlichkeit des menschlichen Loses – […]”) – was, um Himmels willen, will mir der Autor mit diesen Schwulst mitteilen? Hier ist weniger Hegels Vorbild am Werk (Heideggers hypostasierendes “Nichts” könnte Pate gestanden haben) denn die radebrechenden Definitionsversuche hilfloser Theologen wie Hans Küng, wenn vom “Immanent-Transzentalen”, “Diesseitig-Jenseitigen”, von der “wirklichsten Wirklichkeit” die Rede zu sein pflegt.

Ich lese – noch – in kleinen Häppchen – mit Kopfschütteln, Stirnrunzeln und ohne bislang der Erleuchtung teilhaftig zu werden, was an diesem Buch Besonderes, gar Großartiges sein könnte. “Eindämmerungssüchtig”, ein Wortkreation Brochs, genauer “eindämmerungssüchtige Müdigkeitsanwandlungen”: Die Bedeutung dieses Adjektivs ist mir zwar nicht ganz klar, scheint sich aber manchmal in Zusammenhang mit den erwähnten Anwandlungen nächtens bei den Leseversuchen zu erschließen.


Hermann Broch: Der Tod des Vergil. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1976. (= Bd 4 der kommentierten Werkausgabe)

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