John Dos Passos: U.S.A. – The Big Money [Das große Geld]

Ölgemälde: Ein wüster Haufen Wolkenkratzer. - Ausschnitt aus dem Buchcover, für das das Bild "Manhattan Harbour" von George Grosz verwendet wurde.

Lost Generation. Gertrude Stein, heißt es, habe den Begriff zum ersten Mal gehört, als der Leiter ihrer Auto-Werkstatt zu seinem jungen, zwar bemühten, aber nicht sehr geschickten Gehilfen sagte: „Vous êtes une génération perdue!“ („Ihr seid eine verlorene Generation.“) Gemeint waren die jungen Menschen, die in der Zeit des Ersten Weltkriegs und kurz danach volljährig geworden waren, aber auf Grund des Kriegs zu keiner gescheiten Ausbildung gelangt waren, nicht einmal gescheit in die bestehende Gesellschaft integriert werden konnten, da sie in militärischen oder karitativen Gruppen zusammen gewesen waren, die anders funktionierten als der Rest der Gesellschaft. Stein verwendete den Begriff dann gegenüber Hemingway und meinte damit jenes junge US-amerikanische Völkchen, das in der oben genannten Zeit Paris unsicher machte, zuerst auch im Krieg beschäftigt war, danach aber dort blieb und offiziell meist schriftstellernd tätig war, de facto aber nicht nur Interesse an Literatur zeigte sondern mindestens ebenso sehr an Alkohol und Sex. Hemingway seinerseits verwendete den Begriff der Lost Generation im Motto seines Romans The Sun also Rises von 1926 (auf Deutsch: Fiesta) und vertiefte das Thema in seinen allerdings erst postum erschienenen Erinnerungen A Moveable Feast (auf Deutsch: Paris – ein Fest fürs Leben), womit spätestens der Begriff populär wurde – wenn auch vor allem in Anwendung auf eben jene Gruppe junger schriftstellender Leute, die schon Gertrude Stein damit gemeint hatte. Bis heute gibt es Versuche, alle zwischen 1883 und 1900 Geborenen mit diesem Wort zu bezeichnen, aber außerhalb von Teilen der historiografischen Bubble hat sich diese weiter gefasste Definition nicht festsetzen können.

Allerdings hat schon 1936 einer die hinter dem Begriff Lost Generation stehende Definition verwendet, um diese Generation zu schildern, wenn er auch den Begriff selber nicht erwähnt. Natürlich spreche ich hier von John Dos Passos, seiner Roman-Trilogie U.S.A. im Allgemeinen, deren letztem Roman, The Big Money im Besonderen. Dieser Roman setzt ein nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und schildert vor allem das Leben und die Probleme der Kriegsheimkehrer und die schonungslos kapitalistisch ausbeuterischen Roaring Twenties. Immer wiederkehrend steht Lieutenant Charly Anderson im Zentrum dieses Romans. Im Krieg war er eines der großen und berühmten Flieger-Asse. Zurück in der Heimat muss er aber feststellen, dass ihn praktisch niemand dort kennt – ehemalige Mitsoldaten ausgenommen. Er versucht, einen Job zu finden und sich zu integrieren. Das gelingt ihm zu einem gewissen Maß, er kommt sogar zu einigem Geld. Aber sein Hang zu Alkohol und Sex treiben ihn ins Verderben. Er führt nicht das Leben, von dem er wirklich geträumt hat.

Auch andere Figuren werden in den einzelnen Kapiteln geschildert. Da ist zum Beispiel Margo Dowling. Wir treffen sie zuerst als kleine, minderjährige Tänzerin, die mit einem Kollegen, der von dort stammt, nach Kuba durchbrennt und ihn heiratet. Doch vor Ort entpuppt sich der Mann als unerträglicher Macho. Sie kehrt allein nach New York zurück und wir können ihr zusehen, wie sie langsam Karriere macht und es schließlich sogar in Hollywood zu einem Star der aufstrebenden Filmindustrie schafft. Doch die Erfindung des Tonfilms macht ihrer Karriere ein Ende, klingt ihre Stimme doch eher wie das Krächzen eines Raben. Sie ist, wie alle anderen, letztlich escheitert.

Es gibt in Dos Passos’ Roaring Twenties auch Arbeiter und ihre Streiks, die wie schon zu Beginn des Jahrhunderts blutig niedergeschlagen werden (noch ein Scheitern). Es gibt, immer noch, den ehemaligen Setzer, Journalisten und Agitatoren Ben Compton, den wir aus dem ersten Roman kennen, der hier aber gerade wegen Abweichlertum aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde (ebenfalls gescheitert). Dos Passos hatte durchaus gewisse Sympathien mit den Gewerkschaften der Zeit, nicht aber mit der Amerikanischen Kommunistischen Partei. Er war 1936 einer der wenigen, die nichts mit Stalin zu tun haben wollten, der damals noch als Bollwerk gegen den Faschismus betrachtet wurde.

Ansonsten verwendet Dos Passos die gleiche Struktur und die gleichen poetologischen Mittel wie in den ersten beiden Bänden der Trilogie: Newsreels wechseln ab mit dem (autobiografischen und mit der Technik des Bewusstseinsstroms geschrieben) Camery Eye und zwischen den einzelnen Erzählungen sind immer wieder Kurzbiografien wichtiger Persönlichkeiten der Zeit eingefügt: Randolph Hearst zum Beispiel, Henry Ford, aber auch Frank Lloyd Wright. Der Einbezug des Justizmordes an Sacco und Vanzetti erlaubt es, zumindest Teile des Romans zeitlich genau zu positionieren. Wir finden Erwähnungen der beiden in Newsreel 66 (der mit Fetzen aus dem englischen Text der Internationalen endet), und auch Camera Eye (50) bezieht sich darauf. Darin wird die bereits damals existierende Spaltung der USA thematisiert: Camera Eye (50) endet mit der bis heute berühmten Aussage: we stand defeated America (wir sind ein besiegtes Amerika), die wie keine andere den Pessimismus der Lost Generation (zu der ja auch Dos Passos gezählt wird) beschreibt.

Zusammengefasst kann ich nur sagen: Die U.S.A.-Trilogie sollte auch im deutschen Sprachraum besser bekannt sein. Und sei es nur, weil hier sehr viele der für uns Europäer seltsamen Verhältnisse dieser Supermacht in ihrer Frühform bereits geschildert sind – so geschildert sind, dass sie durch die Kunst des Autors vielleicht besser zu verstehen sind.

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