Last but not least: Shakespeares Tragödien. Wie viele grosse Gestalten hat uns Shakespeare nicht in seinen Tragödien gegeben: King Lear, Othello, Macbeth, Hamlet, Romeo und Julia … Wohl keinem Autor ist es gelungen, so viele moderne Mythen zu schaffen. Praktisch jeder spätere Autor hat aus dem Fundus Shakespeares geklaut: Gottfried Keller ebenso wie Wolf von Niebelschütz.
Das liegt wohl an der Wucht, die Shakespeares tragische Gestalten entwickeln. Während es in der antiken griechischen Tragödie das Schicksal ist, das Menschen wie Götter unbarmherzig lenkt, hat man bei Shakespeare immer das Gefühl, eigentlich könnten doch die Menschen da auf der Bühne ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Und doch können sie es nicht, sie scheinen einem blinden Zwang unterworfen, der sie noch stärker herannimmt als das antike Schicksal die seinen. Wie blind verrennt sich Othello nicht in seiner Eifersucht! Wie blind ist nicht Lear, der dem schnöden Wortlaut seiner älteren Töchter mehr glaubt als den ungeschickten Liebesbeteuerungen seiner Jüngsten! Hamlet mit seiner Melancholie, Macbeth in seinem Machtrausch, Othello in seiner Eifersucht: Sie sind prototypisch, und es ist ein Hinweis auf Shakespeares Kunst, dass er keine Typentragödie geschrieben hat, sondern wir Menschen aus Fleisch und Blut zuzusehen wähnen, die blind in ein unabwendbares Schicksal rasen.
Und dann, ganz verstörend, immer wieder der Clown, der dazwischen redet. Wortwechsel, die besser auch in Shakespeares Komödien nicht anzutreffen sind, finden statt. Dieses Beieinanderliegen des Düsteren und des Grotesken hat schon die deutsche Romanik an Shakespeare fasziniert. Sie macht wohl bis heute einen grossen Teil seiner Faszination aus. Nicht nur zu Shakespeares Zeiten lagen diese beiden Pole menschlicher Befindlichkeit nahe beieinander. Sie tun es heute noch, und nicht zuletzt deshalb ist Shakespeare auch ein Autor des 21. Jahrhunderts.
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