Montesquieu: Lettres persanes [Persische Briefe]

Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, bekannt unter dem Namen Montesquieu, hat die „Lettres Persanes“ 1721 anonym erscheinen lassen. Es gilt als einer der Standardtexte der frühen Aufklärung.

Zum Inhalt: Usbek und Rica, zwei Perser, verlassen 1711 ihre Heimat und reisen über die Türkei und Italien nach Frankreich. Ihre Briefe an Freunde und Bekannte daheim, aber auch deren Briefe unter sich, bilden die formale Struktur des Werks. Es gibt von Cyrano de Bergerac dessen „Reise zum Mond und zur Sonne“, die eine ähnliche Thematik haben: Erdling reist zum Mond und zur Sonne und wundert sich über daselbstige merkwürdige Gewohnheiten. Indirekt auch eine Kritik an den irdischen Gewohnheiten und für Cyrano ein Transportmittel für seine materialistische Weltanschauung. Aber Kritik an den eigenen Verhältnissen dadurch, dass man sie durch Fremde beurteilen lässt … da kommt mir vor Montesquieu im Moment keiner in den Sinn.

Es braucht keine grossen Kenntnisse der damaligen Zeit. Gut, man muss wissen, dass Louis XIV uralt geworden ist, ebenso wie seine Mätresse, um ein paar Anspielungen zu verstehen. Und man muss wissen, dass Louis XIV der Günstlingswirtschaft nicht abgeneigt war und Söhne oder Neffen verdienter Minister auch schon mal mit 17 oder 18 zu Staatssekretären ernannte. (Worüber sich dann der Perser entsprechend wundert: alte Mätresse und junge Minister. Hier ist Montesquieus Kritik gewagt – gut, dass er sie als Anonymus einem Fremden in die Schuhe schieben kann.) Daneben aber viel Belangloses, Intrigen aus dem Harem und unter den Sklaven werden breit geschildert; einziger Sinn und Zweck, den ich darin sehe, ist, Usbek als gutmütigen Menschen mit viel Geduld auch gegenüber den Frauen und den Sklaven ausgeben zu können. Während Rica offenbar zynischer ist: er macht sich des langen und des breiten über die Pariserinnen lustig, die mit 80 noch glauben machen wollen, sie seien höchstens 60. Aber diese Scherze wirken heute ein bisschen billig; mag sein, Montesquieu war der der erste, der sie machte. Ich habe die Bedeutung der Serailgeschichte auch erst praktisch mit dem letzten Brief verstanden. Sie exemplifiziert sehr schön die Zwickmühle, in der sich ein absolutistischer Herrscher (à la Louis XIV eben) befindet. Einerseits hat er alle Macht über seine Untertanen, andererseits kann er die gar nicht direkt ausüben und ist also auf Mittelsmänner (bzw. eben -eunuchen) angewiesen. Und er ist darauf angewiesen, seinen Mittelseunuchen zu vertrauen und zu glauben. Im Grunde genommen ist es also nix mit „absoluter“ Herrschaft. Und der Schluss zeigt ganz klar, dass der absolute Herrscher inkl. Mittelseunuchen eben sehr leicht hintergangen und ausgehebelt werden kann. Äusserst subversiv, das Ganze, finde ich.

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