Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden (Studienausgabe). Darmstadt: WBG, 2010

Die Studienausgabe der Werke Wilhelm von Humboldts wird ja schon seit längerem in verschiedenster Form von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft vertrieben. Ursprünglich (d.i. so ca. 1985) war es, wenn ich mich recht erinnere, eine in Leinen gebundene Lizenzausgabe von Cotta. Die Ausgabe von 2010 ist wahrscheinlich ein Reprint davon, in Taschenbuch und mit bis ca. 2000 nachgeführtem Anhang. Als Hauptherausgeber fungieren Andreas Flitner und Klaus Giel. Die fünf Bände sind thematisch geordnet:

I) Schriften zur Anthropologie und Geschichte

II) Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik / Die Vasken

III) Schriften zur Sprachphilosophie

IV) Schriften zur Politik und zum Bildungswesen

V) Autobiografische Dichtungen, Briefe / Kommentare und Anmerkungen zu Band I – V / Anhang

Dabei finden sich in Band V auch noch weitere Schriften zur Sprachphilosophie, so, dass dieser gerade so gut „Ergänzungen und Erweiterungen“ hätte heissen können. Band III, die Schriften zur Sprachphilosophie, ist seit Jahren der Bestseller unter den fünfen, musste immer wieder separat neu aufgelegt werden, weil er als einziger regelmässig über die Ladentheke des Buchhandels ging. (Auch ich habe mir als Student seinerzeit nur den dritten Band gekauft.)

Wilhelm von Humboldt ist offenbar ein editorisches Sorgenkind. Eine von der Preußischen Akademie der Wissenschaften unter Federführung von Albert Leitzmann 1903-1936 erschienene historisch-kritische Ausgabe der Werke ist unvollständig; seither sind in den Wirren des Zweiten Weltkriegs viele Originalmanuskripte verschwunden und wir sind von einer historisch-kritischen Ausgabe weiter entfernt denn je. So stellt diese Studienausgabe die vollständigste noch erhältliche Ausgabe von Humboldts Werken dar. Philologisch stützt sie sich meist auf Leitzmanns Vorarbeiten. So weit ich das beurteilen kann, sind die Texte demnach korrekt, jedenfalls gilt die Ausgabe m.W. als zitierfähig.

Wer sie, wie ich, von A bis Z durchliest, erfährt viel über die grosse Spannweite der Interessen Humboldts. Die Titel der einzelnen Bände sagen da ja schon viel. Band I versammelt viele frühe Schriften. Da neigt Humboldt zur Theorie, da steckt er noch in der alten Form der Wissenschaftlichkeit: viel Theorie, wenig Recherche. Band II enthält vor allem Humboldts Bericht über seine sprachforscherisch motivierte Reise zu den Vasken (bzw. „Basken“, wie wir heute schreiben). Wilhelm von Humboldts Beschreibung von Land und Leuten bleibt in punktio Präzision und Ausführlichkeit dabei den Reisebeschreibungen seines jüngern Bruders Alexander in keiner Weise etwas schuldig, auch wenn Alexanders Hauptinteresse auf Geografie und Geologie gerichtet war. Bei Wilhelm wechseln so interessante Bemerkungen zu Land und Leuten mit sprachwissenschaftlichen Überlegungen ab.

„Sprachwissenschaft“ ist auch das Stichwort für Band III. Den Titel dieses Bandes finde ich nämlich irreführend. Sicher, auch Sprachphilosophisches läuft unter. Doch Humboldt ist zu sehr Mann der Praxis, der Realität, als dass er sich in reine Spekulation verlieren würde. Immer wieder greift er zurück auf die aktuell vorgefundenen Sprachformen und versucht, sie einzuordnen. Dabei vermeidet er es, das Vorgefundene künstlich in ein vorgeformtes System zwängen zu wollen.

Band IV zeigt den Politiker Humboldt. Amtsschriften bilden seinen Hauptbestandteil. Wir erleben Humboldt als Vollblutpolitiker. Er will schaffen (v.a. die neue Universität von Berlin verdankt diesem Willen im Grunde genommen ihre Existenz) – und er will Einfluss haben. Als die Stelle, die er in Preussen ausfüllt, in ihrer Kompetenz beschnitten werden soll, reicht er seine Demission ein. Auch sonst zeigen die Dokumente aus jener Zeit, wie vielfältig Humboldts Aufgaben waren. Weniger erfahren wir über den „Weltpolitiker“ Humboldt, der die Allianz gegen Napoleon schmieden half und in der Restaurationszeit nach Napoleons Fall die preussischen Interessen zu wahren hatte. Alles in allem war Humboldt wohl recht erfolgreich dabei, aber auch hier wurden seine Kompetenzen rasch beschnitten. Humboldt zog sich ins Privatleben zurück.

Band V ist für den Leser durch einige Briefausschnitte interessant und wegen des Nachworts der Herausgeber. Auch bekommt man hier einen guten Einblick in Humboldts Schaffensweise. Grosse Pläne – wenig davon ausgeführt, das weiss und sagt er selber. Aber auch von Humboldts Problemen, sich von der herrschenden Philosophie abzugrenzen, zuerst der kritischen Kants, dann vom Idealismus eines Fichte erfahren wir hier. Wie schwierig es für ihn offenbar war, eine eigene, gültige Position gegenüber dem Weimarer Duo Goethe und Schiller einzunehmen. Erst mit der Sprachwissenschaft ist ihm die Abgrenzung gelungen. Und so ist es wohl kein Wunder, dass Humboldt – mal von der lokalen Wichtigkeit für Berlin und Preussen abgesehen – vor allem mit Band III der Studienausgabe überlebt hat.

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