Die Horen. Jahrgang 1795. Eilftes Stück

Zum einen hat Schiller Die Horen sicher gegründet, weil er sich ein relativ hohes und sicheres Zusatzeinkommen bei relativ geringem Aufwand erhoffte. Zum andern aber brauchte er ein eigenes Sprachrohr. So wundert es nicht, wenn in der elften Ausgabe des Jahres 1795 sehr viel von Schiller selber stammt, der im übrigen in dieser Nummer Die Horen noch einmal ihrer wahren Bestimmung zuführt, der des Sprachrohrs.

Das meiste an Schiller’schem Einschuss ist Kurzfutter, das zwar seinerzeit offenbar gefiel, uns heute aber wenig sagt: Gedichte.

Die Theilung der Erde (wo der Dichter, der halt verträumt ist, zu spät zur Aufteilung der irdischen Belange kommt und deshalb von Zeus eingeladen wird, die Zeit vor seinem Thron zu verbringen), Die Thaten der Philosophen (stellt ironisch die Forderungen der Moralsysteme eines Pufendorf – Schiller schreibt Puffendorf! – der so gar nicht moralischen Realität gegenüber), Einem jungen Freund als er sich der Weltweißheit widmete (thematisch dem Bild zu Sais verwandt, die letzten Zeilen gar prophetisch, wenn man voraussetzt, dass mit dem jungen Freund Friedrich Hölderlin gemeint sein könnte), Archimedes und der Schüler (nur eine halbe Seite lang, Archimedes vertritt darin die Position einer von Zwängen der Politik freien Forschung) – alles Gedichte, die sicher über dem Durchschnitt der deutschen Reimerei der Zeit anzusiedeln sind. Zeitgenossen hielten das eine oder andere Gedicht gar für ein Werk Goethes. (Der in dieser Nummer nicht vertreten ist!) Aber eben: Man hat’s gelesen – und gut ist.

Anders die beiden theoretischen Aufsätze Schillers. Ueber die Gefahr ästhetischer Sitten ist eine Weiterführung des Aufsatzes Von den notwendigen Grenzen des Schönen besonders im Vortrag philosophischer Wahrheiten, ebenfalls in der vorhergehenden Horen-Nummer.

Dafür nehmlich, daß bei dem ästhetisch verfeinerten Menschen die Einbildungskraft auch in ihrem freien Spiele sich nach Gesetzen richtet, und daß der Sinn sich gefallen läßt, nicht ohne Beistimmung der Vernunft zu genießen, wird von der Vernunft gar leicht der Gegendienst verlangt, in dem Ernst ihrer Gesetzgebung sich nach dem Interesse der Einbildungskraft zu richten, und nicht ohne Beistimmung der sinnlichen Triebe dem Willen zu gebieten. Die sittliche Verbindlichkeit des Willens, die doch ganz ohne alle Bedingung gilt, wird unvermerkt als ein Kontrakt angesehen, der den Einen Theil nur so lange bindet; als der andere ihn erfüllt. Die zufällige Zusammenstimmung der Pflicht mit der Neigung wird endlich als nothwendige Bedingung festgesetzt, und so die Sittlichkeit in ihren Quellen vergiftet.

Einmal mehr also der über die Hintertür eintretende Politiker Schiller, der – auch einmal mehr! – trotz seines Titels eines Citoyen zusehends konservativer argumentiert.

Ueber das Naive endlich ist der erste Teil dessen, was Schiller später zu Über naive und sentimentalische Dichtung zusammenfassen sollte. Aus Schillers Briefen an Wilhelm von Humboldt wird klar, dass Schiller seine Gedanken auch immer unterm Schreiben redigierte und änderte. Ursprünglich war der Aufsatz auch bedeutend kürzer geplant. Schiller wollte aber von Anfang an mehr als eine dichtungstypologische Erörterung schreiben. Den Aufsatz auf den Unterschied zwischen dem naiven (= Goethe) und dem sentimentalischen Dichter (= Schiller) zu reduzieren, und dann gar noch Schiller zu unterstellen, dass er die Vorgehensweise des sentimentalischen Dichters als der des naiven unterlegen fühlte (wie es Goethe im Alter getan hat!) wird weder dem Aufsatz noch dem Autor gerecht. Schon der hier vorliegende erste Teil behandelt nach Schiller den

Gegensatz zwischen Einfalt der Natur und zwischen Kultur –

geht also weit über Dichtung oder Ästethik oder Poetologie hinaus. Es geht Schiller tatsächlich um Seinsweisen überhaupt. (Den Begriff des Naiven hat der Kantianer Schiller im übrigen wohl der Kritik der Urteilskraft entnommen, §54, der – als Anmerkung – hautpsächlich das Lachen und das Komische behandelt. Nur schon dies führt Goethes Interpretation ad absurdum.)

Neben dieser Schiller’schen Arbeit verblassen die ‘fremden’ Beiträge etwas, obwohl mit Herder und A. W. Schlegel nur deren zwei und dazu noch namhafte zum 11. Stück beigetragen haben.

Herders Kontribution besteht aus zwei Gedichten (Die Horen – ein Begrüssungs-Vierzeiler, der eigentlich ins allererste Heft gehört hätte – und Der heilige Wahnsinn – worin man fast eine Rechtfertigung Herders für seinen eigenen Wahnsinn, nämlich seine Liebe zur nicht gerade hübschen oder beliebten Caroline finden könnte), sowie der Erzählung Das Fest der Grazien. Die Gedichte machen den Beschluss dieser Nummer, die Erzählung eröffnet sie. Es handelt sich bei letzterer um ein Idyll in Jean Paul’scher Manier – kein Wunder war Herder der einzige, mit dem sich Jean Paul in Weimar anfreunden konnte. In solcher echt naiver Rechtschaffenheit und Glückseligkeit trafen sich die beiden.

Schlegel schliesslich steuerte den Aufsatz Briefe über Poesie, Silbenmaaß und Sprache bei. Einmal mehr muss die fingierte Briefform herhalten zur Belehrung des Publikums. Schlegel sucht dabei den Ursprung der Poesie in Musik und Tanz. Das führt zu einer Differenzierung zwischen vernunftgesteuerter Sprache einerseits, und der (nicht unbedingt göttlich!) inspirierten Sprache der Dichtung andererseits – wie überhaupt dieses frühe Dokument der frühen Romantik in vielem noch auf den Stürmer und Dränger Herder zurückgreift.

Und so – mit zwei Aufsätzen, die einer Fortsetzung harren – endet das Eilfte Stück der Horen.

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