Christoph Martin Wieland (XIII.)

Dieser Band enthält den ersten Teil der sog. Supplement-Bände – Bände, die Wieland bereits 1797 selber an die Ausgabe der eigentlichen Werke geheftet hat. Dieser erste Teil enhält Schriften Wielands aus der ersten Hälfte der 1750er Jahre – im Grossen und Ganzen also aus seinem Aufenthalt in Zürich. Juvenilia sind, was Juvenilia halt so sind – das durften wir bereits bei der Werkausgabe von Baudelaire feststellen, wo sie den ersten Band ausmachen. Bei Wieland wäre es mir lieber gewesen, der alte Mann hätte als Supplement seine Übersetzungen (v.a. Shakespeare und Lukian) geliefert, weil zumindest Shakespeare ja nicht erst Schlegel / Tieck / Baudissin zu sprachlichen Höchstleistungen angestachelt hat. Nur wenige Dichter sind bereits in ihrer Jugend „vollendet“ und bringen Grosses hervor. Sicher gibt es die ‚Frühvollendeten‘, Autoren, die schon in jungen Jahren Grosses leisteten und die ein früher Tod davor bewahrte, diese Leistungen bestätigen zu müssen: Novalis, Hauff oder der hier bereits gefeierte Büchner gehören dazu. Andern tat kein früher Tod einen Gefallen, und so müssen wir das traurige Schauspiel sehen, wie ein Achim von Arnim auf seinem kleinen Gütchen verbauert – sehr zum Leidwesen seiner Gattin Bettina, die sich anderes vom jungen Springinsfeld erhofft hatte. (Wobei zu sagen ist, dass ihr Bruder nicht viel besser war; er verbauerte zwar nicht, aber er vermystifizierte – und ähnlich auch Friedrich Schlegel, der sich aber immerhin als Sprachwissenschafter neu zu positionieren wusste.) Wenigen, wie Goethe, Tieck oder Hofmannsthal gelang es, sich als Dichter immer neu zu erfinden. Auf der andern Seite der Skala haben wir die – wie ich sie nennen möchte – ‚Spätzünder‘. Der vielleicht extremste Fall davon Fontane, der erst im Alter seine grossen Romane lieferte, aber auch Wieland möchte ich dazu zählen, dessen Juvenilia nun allerdings peinlich sind.

Mit andern Worten: Dieses Supplement ist dem heutigen Leser ein Dorn im Auge. Es ehrt Wieland zwar, dass er offen und aufrichtig genug ist, seine Jugend-Irrtümer nicht zu verstecken. Aber ausser einen Literaturhistoriker oder -soziologen kann das kaum jemand interessieren. So ist Die Natur der Dinge ein misslungener Abklatsch des gleichnamigen Werks von Lukrez, nicht einmal fertig gestellt, weil als Liebesbeweis Wielands für seine Cousine Sophie Gutermann (spätere La Roche) gedacht – eine Liebe, aus der bekanntlich nichts wurde. Am besten gelungen sind ein paar Erzählungen im zweiten Band der Original-Zählung – die aber, wie Wieland ein bisschen verklausuliert zugibt, aus einer englischen Zeitschrift abgekupfert sind. Immerhin ist dadurch der Plot sauber durchgeführt, das verklemmt Religiöse der andern hier versammelten Juvenilia fehlt.

Denn: Vor allem der dritte Band der Original-Zählung ist für heutige Leser schlechterdings unerträglich. Diese Werke stammen aus der Zeit, die Wieland in Zürich im Haus von Johann Jakob Bodmer verbracht hat. Schon die Titel, z.B. Die Prüfung Abrahams oder Psalmen oder Hymne auf Gott, weisen auf das Fahrwasser hin, in das der Theologe Bodmer den jungen Mann geschleust hatte: jene blutleere, zwinglianische Frömmigkeit, die damals wie heute der orthodoxen Geistlichkeit eigen war – die damals aber auch der ganzen Stadt Zürich eigen war.

Man schaudert als Leser, wenn man sieht, vor welchem Abgrund der Autor Wieland stand – und freut sich im Nachhinein noch sehr, dass Wieland den Weg in ein zwar skeptisches, aber weltoffenes Denken gefunden hat, verbunden mit der Ironie, die diesen Jugendwerken so schmählich abgeht.

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