Bekannt ist Thomas Clayton Wolfe (1900-1938) vor allem und fast ausschliesslich durch seinen Erstling: Schau heimwärts, Engel. Der Erfolg dieses autobiografisch gefärbten Romans hat den 29-Jährigen gleichzeitig motiviert, seinen Job als Professor für Literatur an einem College an den Nagel zu hängen und sich dem Schreiben zu widmen, und ihn derart verschreckt, dass er sich kaum traute, etwas Neues zu publizieren, weil er genau wusste, dass man von nun an alles am Erstling messen würde.
Die Party bei den Jacks wurde denn auch – ohne Titel – im Nachlass des früh an Tuberkulose Verstorbenen gefunden und erst 1995 mit geringfügigen editorischen Eingriffen veröffentlicht. Man merkt es dem Roman an, dass er nicht ganz fertig ist, aber dennoch ist zu sagen, dass wir hier ein grosses Stück Literatur vor uns haben. «Einer der besten Romane der Gatsby-Ära.», soll gemäss Klappentext ein gewisser Niklas Maak in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben haben. Nun ist, wenn bei einem Buch auf ein anderes hingewiesen wird, dies praktisch gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Dabei ist Die Party bei den Jacks besser als Der grosse Gatsby. Formal wie inhaltlich. Formal verfährt Wolfe wie seine Fast-Namensvetterin Virginia Woolf, in Mrs. Dalloway, dessen Handlung ebenfalls an nur einem Tag spielt und trotzdem ein Panorama einer ganzen Gesellschaft bietet.
Wir begleiten Mr. und Mrs. Jack durch den 2. Mai 1928. Jack ist ein aus Deutschland eingewanderter Jude. ‚Zu Hause‘ führte seine Familie eine kleine Privatbank, in den USA ist Jack als Börsenspekulant reich geworden. Wir erfahren Jacks Geschichte durch eine als Traum dargestellte Rückblende: sein Aufwachsen in einer Kleinstadt am Rhein, die Hänseleien, die der Jude in der Schule durchmachen musste. In einem zweiten Traum scheitert Jacks Versuch, sich an seinen früheren Peinigern zu rächen: Die alten Herren sind müde und verbraucht und reagieren gar nicht auf Jacks Prahlereien mit seinem Reichtum, die er zudem in einer ihnen und ihm selber unverständlichen Sprache vorbringt.
Nach Jacks Erwachen stellen wir fest, dass der Traum einen der Grundzüge von seinem Wesen dargestellt hat: eine ungeheure Verliebtheit in sich selber, in das, was erreicht zu haben er meint und in alles Äussere. Jack ist verliebt sowohl in den ihn umgebenden Luxus wie in seinen eigenen Körper, den er für schlank und gut gebildet hält – trotz seines Alters, denn Jack hat die Fünfzig schon überschritten. (In späteren Kapiteln, wenn wir Jacks Geist sozusagen verlassen haben, wird er dann als doch ziemlich korpulent beschrieben 😉 .) Über lange Anfangskapitel hinweg scheint Jack der einzige Protagonist zu sein – andere Personen existieren offenbar nur in seinen Träumen. Dann lernen wir aber Mrs. Jack kennen, eine trotz zwei ausgetragenen Kindern nach wie vor schöne Vierzigerin.
Im Folgenden erlebt der Leser die Vorbereitungen zu der Party am Abend. Die Spannungen zwischen ‚Oben‘ und ‚Unten‘ – dargestellt einerseits an einem Streit zwischen Mrs. Jack und ihrem Dienstmädchen, aber auch wörtlich anhand der Fahrstuhlführer, die die Welt unten mit der der Jacks oben verbinden. Denn die Jacks leben im 9. Stock eines Hochhauses mitten in New York. Nach seiner Morgengymnastik stellt sich Jack ans offene Fenster und atmet den Duft – nicht der Abgase, sondern von feuchter Erde ein. Und dies, obwohl das Panorama, das uns Wolfe schildert, einen Moloch von Eisen und Beton darstellt – in einer beinahe expressionistische Beschreibung der Grossstadt. Ein leises Zittern geht durchs Haus und erschreckt Jack, obwohl er mittlerweile (beim ersten Mal hat er sich verängstigt beim Portier erkundigt) weiss, dass das die Erschütterungen der U-Bahn sind, die ein Stück unterm Keller in einem Tunnel unter dem Haus durchrast. Nein, das Haus und Jacks Reichtum sind nicht auf Sand gebaut, sondern auf Stein. Aber auf einem Stein, der durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse …
Der Titel von Wolfes Erstling stammt aus Miltons Paradise Lost. Auch im vorliegenden Roman werden wir Zeuge, wie die Menschheit ihr Paradies auf Erden verliert. Die Party, die am Abend dann stattfindet, ist – nebenbei gesagt – wie die Ereignisse des Erstlings autobiografisch motiviert. Wolfe hat diese Party – inklusive Feueralarm am Schluss – mitgemacht, und Wolfe war tatsächlich der viel jüngere Geliebte der Hausfrau. Doch im Roman überhöht sich diese Party zum Sinnbild des Schicksals jenes New York, in dem nach der Depression etwelche tatsächlich auf der Strasse standen. Dass die Party schon vorher kippt, nämlich bei der Vorführung eines Drahtpuppenspielers namens Piggy Logan, zeigt Wolfes Können. Logan gilt als Genie, seine Drahtpuppen als der Inbegriff moderner (Schauspiel-)Kunst. Nachdem er für seine Vorführung rücksichtslos das ganze Arrangement der Möbel im Wohnzimmer kaputt gemacht hat, stellt sich heraus, dass er ein Scharlatan ist. Keiner seiner Tricks funktioniert, er pröbelt 20 Minuten herum, um zum Schluss die Figuren mit brachialer Gewalt in die richtige Position zu bringen. Das Publikum ist ebenso verstört, wie das Arrangement der Möbel zerstört. Dann bricht im Haus ein Feuer aus, das alle auf die Strasse treibt. Das Feuer wird gelöscht, die beiden Todesopfer, die es forderte (zwei Fahrstuhlführer) fast wortwörtlich untern Teppich gekehrt; die Leute kehren noch einmal in Jacks Appartement zurück, um ihre Mäntel zu holen und finden dabei, auch diese Party bei den Jacks sei ein voller Erfolg gewesen – und Logan ein Genie.
Unbedingt zu erwähnen ist die Schilderung der Gäste und ihres Charakters, die Wolfe jedesmal liefert, indem er uns für kürzere oder länger Zeit an ihren Gedanken teil haben lässt, und die von schwer zu übertreffendem Zynismus ist.
Ein durchaus lesenswerter Roman also. Das einzige, was irritiert, ist die Art und Weise, wie Wolfe das Judentum der beiden Protagonisten, Mr. und Mrs. Jack, betont. Nicht als religiöses Faktum, sondern indem er ihnen immer wieder „rassetypische Bewegungen“ (der Ausdruck fällt) zuschreibt. Wolfe war sicher kein Faschist im eigentlichen Sinne, jedenfalls spätestens nicht, seitdem er bei einem Deutschland-Besuch mitansehen musste, wie das Hitler-Regime die Juden dort behandelte. Dass er sich offenbar dennoch nicht von solchen Bemerkungen trennen konnte, stört. Daneben die eine oder andere Unsicherheit in der Choreographie, so, wenn ein Gast gleich in zwei Kapiteln hintereinander bei der Party eintrifft, oder wenn gewisse Beschreibungen in verschiedenen Kapiteln immer wieder vorkommen, ohne dass die Repetition einen ersichtlichen Grund hätte. Das sind Dinge, die Wolfe sicher noch korrigiert hätte, hätte er den Roman fertigstellen können.