Band III/2 schliesst Zellers monumentale und kenntnisreiche Geschichte der griechischen Philosophie ab. Die grossen Kapitel seiner Darstellung sind 1) die zweite Phase des skeptischen Philosophierens, der Neupythagoreismus und noch einmal die Stoa – alle Schulen im Grunde genommen aber Eklektiker; 2) die jüdisch-griechische Philosophie; 3) schliesslich, als längstes Kapitel, der Neuplatonismus.
1) Die zweite Phase der griechischen Skeptik orientiert sich primär einmal an der ersten, v.a. an Pyrrhon. Führende Mitglieder der sog. „jüngeren Skeptiker “ waren Ärzte. Diese Skeptiker wiesen auch die Möglichkeit, einen Gott zu beweisen zurück – vor allem, weil sie der Anthropomorphismus störte, der mit praktisch allen Vorstellungen der Götter verbunden war, auch mit den antiken Gottesbeweisen.
Parallel zur Skeptik erlebte der Pythagoreismus eine Neuauflage. War schon der alte mit viel Mystik behaftet, so gilt das für den neuen erst recht. Vor allem die Zahlenmystik wurde „weiterentwickelt“, weit über Pythagoras hinaus, aber immer in der (wohl ehrlich vertretenen) Meinung, nur das wiederzugeben, was schon die Alten gesagt hatten. Da auch Platon selber im Alter zum Pythagoreismus neigte, finden wir im Neupythagoreismus einen direkten Vorläufer des Neuplatonismus. (Wie im Grunde genommen ja alle diese späten Schulen im Verhältnis zu den Vorgängern, auf die sie sich beriefen, eklektisch vorgingen – meist, ohne es wirklich wahrzunehmen. Die aus schul-internen Traditionen hervorgegangenen Bezeichnungen der jeweiligen Schulen halten einer objektiven ideen-geschichtlichen Prüfung nicht stand.)
Mit den neuen Pythagoräern rückte das Thema der Seele in den Mittelpunkt des Philosophierens. Was ist eine Seele, ist sie körperlich oder nicht, wie viele Arten davon gibt es eventuell, in welchem Zusammenhang steht die Seele mit dem Schöpfer der Welt (falls man davon ausgeht, dass die Welt erschaffen wurde, es gab auch Pythagoräer, die von einer ewigen Welt ausgingen)? Wie steht es mit den Dämonen? Was sind diese? Diese und weitere, ähnliche Fragen rückten mit Apollonius, Philostratus & Co. in den Blickpunkt der spätantiken Denker. Die Dämonen z.B., an deren Existenz kein Philosoph jener Zeit wirklich zweifelte, waren für die meisten Mittelwesen zwischen den eigentlichen Göttern und den (menschlichen) Seelen, oft ebenfalls seelenartig, oft eher göttlich, manchmal eine Art Mischwesen.
Als bekanntesten Namen unter den Neupythagoräern finden wir Plutarch – der allerdings auch einen Auftritt unter den Neuplatonikern hat, was zeigt, wie eklektisch und durchmischt das philosophische Denken der Spätantike bereits war.
Zum Schluss dieses Kapitels kommt Zeller noch einmal auf die Stoa zurück, bzw. auf das, was er Platonisirende [sic!] Stoiker nennt: Posidonius, Seneca, Epiktet, Marc Aurel – der religiöse Charakter ihrer Philosophie.
2) In der jüdisch-griechischen Philosophie sodann wird der religiöse Charakter des Philosophierens definitiv überhand nehmen. Obwohl nur teilweise der eigentlichen griechischen Philosophie angehörig und teilweise eigene, jüdische Zwecke verfolgend, hat sie doch in der Philosophie bis weit ins Mittelalter Spuren hinterlassen. Da ist vor allem die – an der Septuaginta geübte – allegorische Schrifterklärung, die sowohl dem Neuplatonismus wie später der christlichen Philosophie des Mittelalters Vorbild war für jedwede Form allegorischer Erklärung, nicht nur heiliger Schriften, die den Wortsinn eines Textes auf wundersame Weise wegzudisputieren wusste. Ebenfalls auf die nächsten Jahrhunderte einwirken sollte die zusehends wichtiger werdende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Gott zur Welt – also die „Theologie“.
Im Zentrum von Zellers Darstellung der jüdisch-griechischen Philosophie steht Philo.
3) Dann der Neuplatonismus. Noch einmal eine Schule im antiken Sinn bildend, beruft sich diese Strömung auf Platon – einen Platon allerdings, der mit sehr viel Aristotelischem vermischt worden ist, und mit sehr viel Pythagoräischem ebenfalls. Die Theologie wird zusehends komplexer; im Grunde genommen hat der Neuplatonismus bereits die Scholastik vorhergebildet, auch wenn die theologischen Überzeugungen der Neuplatoniker in vielem von denen der späteren christlischen Philosophen abweichen. Es gibt – grob gesagt – einen Schöpfer, der weitere Schöpfer schöpfte, die schliesslich die Welt schöpften. Wie viele Instanzen dazwischen geschaltet sind, weicht von Neuplatoniker zu Neuplatoniker ab; generell lässt sich sagen: Je später der Neuplatoniker, desto komplexer ist diese Stufenreihe gestaltet. Der aristotelische Nous wird zum kompletten Abstraktum: der Verstand wird nun als erste Schöpfung des ersten Schöpfers betrachtet. Dämonen sind den Neuplatonikern, was den christlichen Scholastikern die Engel waren, und auch die Seelen werden aufs Penibelste seziert und in Stufenreihen geordnet. Eine Seelenwanderung wird mal bejaht, mal verneint, mal nur auf eine Wanderung zwischen Menschen und unter Ausschluss der Tiere beschränkt.
Die grossen Namen sind Plotin (natürlich), Jamblich; auch Plutarch taucht in diesem Kapitel noch einmal auf. Verschiedene weitere Schulhäupter werden erwähnt, wie überhaupt im Neuplatonismus der spätere universitär-akademische Betrieb vorgespurt ist: Die Neuplatoniker beschränken sich zusehends darauf, die Schriften der Vorgänger zu kommentieren, und gewisse, bereits komplex bzw. kompliziert geschilderte Phänomene noch komplexer und komplizierter darzustellen – bis dann bei Proklus eine triadische Vorstellungswelt überhand nimmt, und er z.B. intellektuelle Götter kennt, intellegible und (in Vorbildung Hegel’scher Dialektik) intellektuell-intellegible.
Kein Wunder, dass sich so etwas irgendwann tot läuft, und sozusagen mit dem Tod des (wohl nur pro forma christlichen) Boethius einerseits, dem Untergang des römischen Westreichs andererseits auch die antike Philosophie nach Zellers Darstellung ein Ende findet. Den Übergang zum christlichen Denken erspart sich der Autor.
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Ein Fazit der gesamten Philosophiegeschichte Zellers zu ziehen, ist schwer. Zeller ist ein belesener und kenntnisreicher Wissenschafter. Während er sich in den ersten beiden Bänden (zur vorsokratischen Philosophie) oft und gern in interpretatorischen und textkritischen Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Kollegen verliert, und mehr der Philologe denn der Philosophiegeschichte huldigt, so wird das von der Darstellung des Sokrates an besser. Erst im dritten Teil, wo ähnlich unsichere Text- und Interpretationsverhältnisse regieren, finden wir den Philologen wieder, aber bedeutend zurückhaltender. Die Lektüre der sechs dicken Bände hat sich jedenfalls gelohnt; und sei es nur, weil mich Band III/2 von einer seit langem vage gehegten Idee abgebracht hat, Plotin im Original zu lesen 😉 .