Peter Rühmkorf: Der Hüter des Misthaufens

Aufgeklärte Märchen, so nannte Rühmkorf die 13 Kurzgeschichten dieser Sammlung. Nun ist es (spätestens seit die Psychoanalyse die klassischen Märchen mit ihren interpretatorischen Mitteln seziert hat) seit langem ein Leichtes, Travestien, Persiflagen, Verformungen und Abänderungen von Märchen zu verfassen, während es post Freud unmöglich ist, noch naive – naiv anmutende – Kunstmärchen im Stil von Goethes Märchen oder denen von Wilhelm Hauff zu verfassen.

Aufklärung im Rühmkorf’schen Stil ist politische Aufklärung. Seine ‚Märchen‘ spielen in der Gegenwart, in den 80ern des letzten Jahrhunderts. (Das Buch erschien erstmals 1983.) Um genau zu sein: Rühmkorfs Märchen wollen ‚aufklären‘ über die Mechanismen der Marktwirtschaft. Denn Rühmkorf war politisch gesehen ein Linker – ein Schicksal, das er mit den meisten seiner bekannteren Altersgenossen teilt. Nach eigenem Bekunden will er in seinem Werk zeigen, was Dichtung heute sein kann:

[…] ein utopischer Raum, in dem freier geatmet, inniger empfunden, radikaler gedacht und dennoch zusammenhängender gefühlt werden kann als in der sogenannten wirklichen Welt.

Das ist brav von ihm, hinterlässt aber heute einen merkwürdig schalen Nachgeschmack. Programm-Dichtung ist stark zeitgebunden. Nun gebe ich jedem zu, dass sich die Mechanismen der Marktwirtschaft in den 30 Jahren, die seit der Publikation von Der Hüter des Misthaufens vergangen sind, nicht geändert haben. Aber wir haben eine neue Rücksichtslosigkeit der diese Mechanismen Durchsetzenden erlebt, die Rühmkorfs theoretische und verspielte Utopie als Träume eines Gymnasiasten erscheinen lassen.

Es ist wohl kein Zufall, dass Rühmkorfs Werk in der über gewerkschaftliche Wurzeln verfügenden Büchergilde neu aufgelegt wurde. Das Buch ist schön gestaltet, die Illustrationen verraten zwar das eine oder andere Mal zu früh zu viel (neudeutsch: sie spoilern), sind aber passend zu den Texten.

Rühmkorf kommt die eine oder andere Travestie unter, die meisten der 13 Texte aber sind Kreationen, die keinerlei Rückhalt in den uns bekannten klassischen Märchen haben. Keine Aufklärung über (z.B.) den verborgenen sexuellen Inhalt der Märchen – auch wenn Rotkäppchen und der Wolfspelz genau das tut. Aber Rotkäppchen und der Wolfspelz bleibt die Ausnahme, und Freud scheint schon fast überwunden. Was mir an und für sich gefällt.

Ich will hier nicht auf den Inhalt der einzelnen Märchen eingehen. Sie sind allesamt nett, das eine oder andere ist witzig. Das der Sammlung den Titel gebende Märchen Der Hüter des Misthaufens ist gar – wenn man vom Schluss absieht – eine intelligente Persiflage der klassischen Märchensituation, dass der Kleinste und Dümmste zum Schluss alles kriegt: den Schatz, das Reich und die Prinzessin. Wenn nur nicht wäre, dass Rühmkorf in seinen Texten immer sehr bedeutungsschwanger mit dem Zaunpfahl winkte. Ich mag so etwas nicht, mochte es schon in den 80ern nicht.

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