So also sieht Science Fiction aktuell aus…
Zu Beginn von Andreas Brandhorsts neuestem Science-Fiction-Roman wohnen wir der Beerdigung von Corwain 17 Tallmaster bei. Zusammen mit dem Toten, bzw. mit Corwain 18 Tallmaster. Die Menschen nämlich sind in einer fernen Zukunft de facto unsterblich geworden: Sie altern zwar und ihr Körper stirbt, aber ihre Erinnerungen und ihr Wesen werden aufgezeichnet und in einen Klon ihres alten Körpers transferiert.
Zwei Kapitel später befindet sich der Leser an Bord von einer Art riesigem Raumschiff, dem titelgebenden Kosmotop. Das Kosmotop ist so gross wie mehrere Planetensysteme zusammen genommen, greift willkürlich Welten an und vernichtet sie. Der Leser lernt es gleich von innen kennen, in einem Dialog zwischen einer (noch nicht identifizierbaren Stimme) und einem sog. Lenker – offenbar dem Piloten der Maschine.
Es ist für Brandhorsts Vorgehen typisch, dem Leser zunächst einmal Namen von Personen und Völkern um die Ohren zu hauen – einen verbalen Dschungel zu errichten, der sich nur langsam lichtet. So haben wir auch hier in kürzester Zeit verschiedene Völker der Milchstrasse versammelt, verschiedene Personen mit verschiedenen Namen (Brandhorst, wie die alten Russen oder Chinesen, verwendet verschiedene Bezeichnungen für Personen – je nachdem, wer da gerade mit wem spricht).
Corwain 18 Tallmaster ist Pazifikator – Friedensstifter, d.h. er vermittelt von Berufs wegen in grossen Konfliktfällen. Sein letzter Auftrag allerdings geht in die Hosen: Er muss zur Selbstverteidigung zur Waffe greifen. Von Freund und Feind gleichermassen geächtet, verliert er seinen Job. Um seine Unschuld zu beweisen, macht er sich auf eine intergalaktische Reise. Diese Reise wird unsern Dr. Kimble auf der Flucht schliesslich ins Kosmotop führen.
Es ist ja nun nicht der erste Brandhorst, den ich gelesen habe, und vor allem seine im sog. Kantaki-Universum spielende Hexalogie (oder besser eigentlich: Doppel-Trilogie) Diamant, Der Metamorph, Der Zeitkrieg (zusammen die Diamant-Trilogie), Feuervögel, Feuerstürme, Feuerträume (= die sog. Graken-Trilogie) habe ich in guter Erinnerung. Auch wenn die beiden Trilogien an der üblichen Trilogien-Krankheit leiden, dass der Mittelteil einen im Verhältnis zum vorhergehenden und zum nachfolgenden Teil schwächelnden Übergangs-Teil darstellt, so gelingt es Brandhorst doch in diesen Space Operas stimmige und interessante Bilder im Leser zu evozieren. Das Artefakt und Der letzte Regent von 2012 und 2013 respektive habe ich (hier und hier) in diesem Blog schon besprochen. Schon diese beiden liessen mich das Atmosphärische der Kantaki-Hexalogie etwas vermissen.
Der neueste Brandhorst nun ist mehr ein Space Thriller denn eine Space Opera. Brandhorst fährt auch hier in grossem Stil mit Raumschiffen, Völkern und intergalaktischen Kriegen auf, für mich in allzu grossem Stil. Vor Jahren schon bin ich aus Solschenizyns Der erste Kreis der Hölle ausgestiegen, weil mir da zu viele Personen waren. Eine ähnliche Irritation habe ich auch bei Brandhorsts neuestem Roman jetzt wieder verspürt. Zwar habe ich Das Kosmotop zu Ende gelesen, denn spannend ist das Buch geschrieben. Aber ich habe mich rasch im Gewirr der Namen und Ereignisse verloren. Ich bin nun mal auch kein Leser von Krimis oder gar Thrillern – jedenfalls nicht im grossen Stil. Mich langweilt es rasch, darüber zu spekulieren, wer denn nun der Täter sein könnte; mich langweilt es ebenfalls sehr rasch, darüber zu spekulieren, wer denn nun Freund oder Feind ist, und meinem Helden helfen könnte. Hingegen faszinieren mich (neben Gedankenexperimenten verschiedenster Art, für die mir Science Fiction prädestiniert zu sein scheint) Landschafts- und Objektbeschreibungen; und so wird es nicht erstaunen, dass zu meinen Lieblingsautoren Brockes gehört oder Thoreau – und nicht zuletzt Adalbert Stifter, dessen Personen unsäglich steif charakterisiert sind und dessen Dialoge womöglich noch steifer sind, steif bis zur Lächerlichkeit, aber dessen Landschaften und Objekt präzise und liebevoll ins Detail geschildert werden.
Andreas Brandhorst hat – mutatis mutandis – diese meine Vorliebe in seinen bisherigen Space Operas durchaus bedient. Das Kosmotop ist die erste, bei der ich das Gefühl habe, hier ist nur noch rasante Handlung wichtig. Diese wird vorwärts gepeitscht (und zwar gut! – Brandhorst weiss, wie er solche Dinge schreiben muss!), aber mir blieb zum Schluss nur ein buntes Flimmern von Personen und Ereignissen im Kopf, die ich oft nicht mehr richtig zuordnen konnte. Schlimmer: nicht mehr wollte.
Es leben in Brandhorst Universum keine 15’000 Menschen mehr. Die Incera, eine feindliche Spezies, wollen auch diese 14’721 noch auslöschen. Warum? Nur, weil sie vor Jahrtausenden einmal drei Kriege gegen sie verloren haben? Die Begründung scheint mir auf schwachen Füssen zu stehen. Selbst der (gegenseitige! – hier ist er einseitig bei den Incera!) deutsch-französische Hass nach den napoleonischen Kriegen dauerte nur knapp anderthalb Jahrhunderte, der englisch-französische zwar ein bisschen länger, aber auch der schweigt heute. Religiöse Gründe für die Menschen-Verfolgung scheint es keine zu geben – solche Gründe halten allenfalls über Jahrhunderte an.
Am Schluss des Romans haben wir allerdings für einmal nicht den Super-Menschen, der die Regierung des Weltalls (selbstverständlich nur widerwillig!) auf sich nimmt. Corwain Tallmaster, in einer 19. Inkarnation, die aber nicht mehr gezählt wird, weil er auf seine Unsterblichkeit verzichtet, baut sich mit seiner Lebensgefährtin eine Existenz auf, die an Candides Rückzug in sein Gärtchen erinnert. Tallmaster zieht ein privates Glück einer Tätigkeit im interstellaren Bereich nun vor. Dass für einmal der, der das Universum gerettet hat, nicht gleich mit der Herrschaft über dasselbe belohnt wird, hat mich ein wenig mit diesem Roman versöhnt.
Dennoch weiss ich noch nicht, ob ich die nächste Space Opera Brandhorsts lesen werde…
„Dennoch weiss ich noch nicht, ob ich die nächste Space Opera Brandhorsts lesen werde…“ – 4 Jahre später kann ich festhalten: Ich habe seither keinen ‚Brandhorst‘ mehr gelesen. Sorry.