Edgar Allan Poe: The Narrative of Arthur Gordon Pym

In vollständiger Länge lautet der Titel dieses ersten – und einzigen – Romans von Edgar Allan Poe folgendermassen:

THE NARRATIVE
OF
ARTHUR GORDON PYM,
OF NANTUCKET,

COMPRISING THE DETAILS OF A MUTINY AND
ATROCIOUS BUTCHERY ON BOARD THE
AMERICAN BRIG GRAMPUS, ON HER
WAY TO THE SOUTH SEAS, IN THE
MONTH OF JUNE 1827.

WITH AN ACCOUNT OF THE RECAPTURE OF THE VESSEL
BY THE SURVIVERS; THEIR SHIPWRECK AND
SUBSEQUENT HORRIBLE SUFFERINGS FROM
FAMINE; THEIR DELIVERY BY MEANS OF
BRITISH SCHOONER JANE GUY; THE
THE BRIEF CRUISE ON THIS LATTER VESSEL
IN THE ANTARCTIC OCEAN; HER
CAPTURE, AND THE MASSACRE
OF HER CREW AMONG THE
GORUP OF ISLANDS IN THE

EIGHTY-FOURTH PARALLEL OF SOUTHERN LATITUDE;

TOGETHER WITH THE INCREDIBLE ADVENTURES AND
DISCOVERIES

STILL FARTHER SOUTH

TO WHICH THAT CALAMITY GAVE RISE.

Dieser Titel verrät im Grunde genommen den gesamten Plot des Romans und ist ein Hinweis darauf, dass es Poe bei Arthur Gordon Pym (wie ich den Roman der Kürze halber nennen will), keineswegs um eine Abenteuergeschichte ging. Auch die Tatsache, dass Pym seine Geschichte selber erzählt und sein Manuskript dem Herausgeber (also Poe!) selber in die Finger gedrückt hat und das schon zu Beginn bekannt gibt, zeigt, dass Poe das Interesse an seinem Roman nicht darin begründet sah, dass der Leser nägelkauend in seinem Sessel sitzt und sich fragt, ob und wie der arme Pym das Abenteuer überleben wird. Wir haben definitiv keinen Abenteuerroman vor uns.

Es lässt sich sogar darüber debattieren, ob wir überhaupt einen Roman vor uns haben; und ich gebe sofort zu, dass wir keinen guten Roman vor uns haben. Im Grunde genommen sind perlenartig grössere und kleinere Abenteuer des Arthur Gordon Pym an einander gereiht worden – von der jugendlichen Ausfahrt in stockbesoffenem Zustand, die der Titel gar nicht erwähnt, über die Fahrt als blinder Passagier an Bord der Grampus, wo Pym Zeuge und beinahe Opfer einer Meuterei wird, den anschliessenden Schiffsbruch, die Rettung durch ein anderes Schiff, dessen Besatzung dann ihrerseits durch Südseeinsulander getötet wird: Alles das sind einzelne Perlen. Am besten ‚funktioniert‘ Poe, wenn er seinen Abenteuern Momente des Horror beigeben kann. Da ist der Horror, den Pym empfindet, als sein Freund und Gefährte Augustus Barnard bei jener allerersten Ausfahrt plötzlich stocksteif und kreidebleich am Steuer hockt und weder auf Anrufe reagiert, noch das Schiff steuert. Des Rätsels Lösung: Augustus war zu besoffen, um noch irgendetwas zu tun. Oder dann wird Arthur Gordon Pym, der unter Deck vor den das Schiff beherrschenden Meuterern versteckt ist, plötzlich von seinem eigenen, treuen Hund Tiger angefallen, der tollwütig geworden zu sein scheint, der aber nur, wie Pym, unter der schlechten Luft unter Deck litt. Einen weniger übernatürlich scheinenden Horror schildert Poe, als es darum geht, dass die vier Überlebenden des Schiffbruchs der Grampus darum losen, wer sein Leben geben solle, um den übrigen drei als Nahrung zu dienen. Die kannibalistische Handlung findet dann nämlich auch tatsächlich statt. Später sehen die drei Überlebenden dann endlich ein Schiff, das auf sie zusteuert, und das Rettung verspricht. Es wendet sich ab, kommt zurück, aber der Steuermann reagiert dennoch nicht auf ihre Rufe. Welch ein Horror, als die drei Schiffbrüchigen das andere Schiff von hinten sehen: Es hat einen Teil seines Hecks verloren, und man sieht Dutzende aufgebahrter Toter. Offenbar hat die Pest alle Passagiere und die Crew erwischt, und der Steuermann ist selber nur eine Leiche, die von Wind und Wellen bewegt, auf den ersten Blick noch Leben zu haben schien. Last but not least ist da der Schluss des Romans. Pym und sein letzter Gefährte Peters – als einzige Überlebende der Crew – verstecken sich vor den Eingeborenen. Sie finden in ihrem Versteck merkwürdige Hieroglyphen, die für Peters genau das sind, während sie Pym zu entziffern versteht. Endlich können die beiden den Südseeinsulanern auf einem Boot entkommen. Auf ihrer Flucht übers Meer treffen sie plötzlich auf Wasser, das ganz heiss ist und milchig-weiss. Dann erblicken sie am Horizont eine riesige menschliche Gestalt, furchteinflössend und schneeweiss. Hier bricht Arthur Gordon Pyms Erzählung ab. Es folgt nur noch ein trockener Schlussbericht des Herausgebers, der den plötzlichen Tod Pyms bedauert (offensichtlich das Hindernis zur Fertigstellung der Erzählung).

Der Schluss des Romans wird im Titel nur angedeutet, und das ist für mich ein weiterer Hinweis darauf, dass diese Pointe für Poe der wirklich wichtige Teil der Geschichte war. Als Romancier taugt Poe nicht viel. Wir finden grobe erzähltechnisch-logische Fehler. Da ist Peters. Pym nennt ihn auch den Hybrid, weil er der Sohn eines Weissen und einer Indianerin ist. Sein Äusseres wird bei der ersten Beschreibung als äusserst abstossend geschildert. Doch zu diesem Zeitpunkt ist Peters auch noch Teil der Meuterer. Er verbündet sich kurz darauf mit Pym und Augustus Barnard, die als einzige das Massaker der Meuterer überlebten, und sein abstossendes Äusseres scheint plötzlich keine Rolle mehr zu spielen. Oder da ist Tiger, der Hund, der zuerst Pyms Leben rettete, und dessen Leben anschliessend Pym rettete, der aber, als die vier Überlebenden darum losen, wer den andern als Nahrung dienen sollte, nicht einmal mehr erwähnt wird. Wir müssen schliessen, dass er wohl schon vorher über Bord gewaschen wurde. Später werden wir erleben, dass auch die Rolle der Hieroglyphen nicht mehr vollständig aufgeklärt wird.

Fazit: Als Autor von Momenten des Horror ist Poe unübertroffen und somit für Short Stories prädestiniert. Als Romancier, als Verfasser von See- und Mordgeschichten kann auch ein Poe einem Melville oder einem Conrad nicht das Wasser reichen.


Das offene Ende der Geschichte hat übrigens etwelche Autoren inspiriert. Nennenswert sind zwei ‚Fortsetzungen‘:

Einmal Jules Vernes Le Sphinx des glaces von 1897. Verne lässt sogar – wenn auch nur als Tote auf der Insel – Pym, Peters und den Hund Tiger auftreten. Das bringt zwar verschiedene Brüche im Verhältnis zu Poes Original mit sich (bei Poe ist Tiger lange vor dem Erreichen der Südseeinsel verschwunden, Pym und Peters ihrerseits haben offenbar irgendwie – diesen Teil schildert Poe nicht mehr – die USA erreicht); Vernes Roman ist aber immer noch nahe genug an der Geschichte Poes, dass die Tantiemen nicht Verne sondern Poe bzw. dessen Erben zuflossen.

Sicherlich interessanter ist die indirekte Fortsetzung, die H. P. Lovecraft der Geschichte zukommen liess. Lovecraft, selber ein begnadeter Autor von Horror-Stories, verfasste als Abschluss seines Cthulhu-Zyklus die Geschichte At the Mountains of Madness. Darin wird erzählt, wie eine Expedition zur Antarktis daselbst geheimnisvolle und übermächtige Lebewesen entdeckt, die offenbar aus den Weiten von Raum und Zeit stammen. Es stellt sich heraus, dass es sich um dieselben Wesen handelt, die Lovecraft schon verschiedene Male in seinen Erzählungen erscheinen liess, und deren bekanntestes, Cthulhu, dem Mythos seinen Namen gegeben hat. Diese Fortsetzung ist nur indirekt, und tatsächlich kann At the Mountains of Madness auch ohne Kenntnis von Arthur Gordon Pym gelesen werden und umgekehrt.

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