Edgar Zilsel: Die Entstehung des Geniebegriffes

Dieses Buch sollte der erste von zumindest zwei Bänden sein, die sich mit dem Geniekult beschäftigen. Und es wurde auch als Habilitationsschrift vorgelegt: Allerdings vom Kollegium nicht durchgehend positiv bewertet, was zum Teil mit der Person Zilsel zu tun hatte: Er bekannte sich offen zum Sozialismus als auch zum logischen Positivismus. Ein weiteres, von deutschen Philosophieprofessoren eingeholtes Urteil (u. a. von Cassirer, der die Arbeit sehr lobte, auch wenn er selbst sich einer gänzlich anderen Richtung zuzählte), fiel ebenfalls geteilt aus. Schließlich überzeugte Schlick Zilsel davon, die Schrift zurückzuziehen, da er keine Möglichkeit einer Annahme sah.

Tatsächlich handelt es sich hier um keine klar zuzuordnende Arbeit: Zilsel bewegt sich mit diesem Buch irgendwo zwischen Philosophiegeschichte, Sozialgeschichte, reiner Historie und auch Soziologie. Ausgehend von dem von ihm kritisierten Geniebegriff der Gegenwart (etwa eines Houston Stewart Chamberlain) versucht er der Enstehung dieses Begriffes historisch nachzugehen: Beginnend in der Antike (wo der Begriff des Genius noch einen religiös-mythologischen Beigeschmack hatte und weniger von einem „ingenium“ im Sinne einer Begabung die Rede war) konzentriert sich die Arbeit in weiterer Folge vor allem auf den Zeitraum von 1400 bis 1600. Zilsel hat ganz offensichtlich unglaublich viel Literatur (vor allem italienischer Humanisten) eingesehen, versucht diese zu ordnen, weist auf die alles überragende „imitatio“ hin, die sich im Nachahmen historischer Größen (insbesondere Ciceros) erging und auf den langsam, von einem anderen, dem Humanismus lange fremden Bereich entstehenden Begriff der „inventio“, der in der Originalität des Geschaffenen das primäre Ziel sieht.

Dieser Bereich wird vor allem von den von Zilsel als „Künstleringenieure“ bezeichneten Personen gebildet, von Malern, Architekten, Bildhauern, aber auch von Ärzten oder Naturwissenschaftler (Paradebeispiele sind Leonardo oder Michelangelo). Dass diese Entwicklung überhaupt stattfinden konnte, da eigentlich Maler oder Bildhauer als Handwerker angesehen wurden (womit eine sozial untergeordnete Stellung verbunden war), hat mit der Entwicklung des Handels, dem Kapitalismus, der Geldwirtschaft zu tun. Plötzlich wurden Neuerungen nicht scheel betrachtet (wie in den mittelalterlichen Zünften), sondern als Möglichkeiten angesehen: Möglichkeiten, die sowohl zu Geld als auch zu Ruhm und Ehre führen konnten. Erst dadurch (und nicht durch den Humanismus, der durch sein rückwärtsgewandtes Denken ein eher retartierendes Moment bildete) entstand ein neues Selbstbewusstsein, das das Prokrustesbett antiker Regularien allmählich aufbrach. Von einem Geniebegriff, wie er für die Gegenwart selbstverständlich ist, kann aber noch keineswegs gesprochen werden: Es fehlt zum einen das Philistertum (also die breite Menge, die dem Geschaffenen mit Unverstand gegenübersteht) als auch die Verkanntheitspose des sich als Genie Begreifenden.

Die Untersuchung endet leider an einer Stelle, an der es erst interessant zu werden verspricht (Zilsel hatte vor, die aufkommende Wissenschaftskultur des 17. Jahrhunderts als auch die beginnende Geniekultur des 18. Jahrhunderts zu analysieren). Und er verleiht am Ende seiner Ausführungen der Hoffnung Ausdruck, dass es ihm gelingen möge, historische Gesetze ausfindig zu machen, die das Aufkommen einer solchen Geniekultur ankündigen. Allerdings klingen diese Bemerkungen am Schluss des Buches wenig überzeugend: Bestenfalls können Tendenzen ausfindig gemacht werden, von Gesetzen aber kann nirgendwo die Rede sein. Im Gegenteil: Das Buch scheint gerade aufgrund seines Faktenreichtums ein gutes Beispiel für die Unmöglichkeit zu sein, auch nur einigermaßen klare Tendenzen festzustellen: Immer wieder muss eingeschränkt und relativiert werden, nirgendwo sind klare Strukturen zu erkennen. Und so klingt auch das von Zilsel angeführte Beispiel der Astronomie als einer sich auch erst entwickelnden Wissenschaft ziemlich hilflos: Natürlich war diese lange eine bloß beschreibende Wissenschaft, die sich erst aufgrund besserer Beobachtungsmethoden zu einer einigermaßen exakten Wissenschaft entwickeln konnte. Aber – wie der Autor selbst bemerkt – selbst 1920 waren bereits über 300000 Sterne bekannt – und eine solche Menge an Studienobjekten zueinander in Beziehung zu setzen ist etwas ganz anderes als ein Vergleich von Kulturen. Wobei die Katalogisierung von Kulturen ein wenig komplizierter sein dürfte als die der Sterne. Der Vergleich hinkt – und nicht zu schwach: Denn der wissenschaftlichen Astronomie fehlte schlicht das Instrumentarium, während sein Gegenstand empirischen Methoden ohne weiteres zugängig war. Für die Geschichte gilt dies alles nicht im geringsten: Weder ist der Gegenstand klar fassbar und rubrizierbar, noch gibt es eine geeignete, nichttriviale Methodologie (was eben auch durch die Natur des Gegenstandes bedingt ist).

Das Buch ist gelehrt, über weite Teile aber doch nur für Philosophen und Historiker interessant, die sich explizit mit dieser Epoche (der Renaissance) beschäftigen. Vor allem aber ist es ein Torso: Mich hätten die von Zilsel unterstellten(?) Bezüge zum gegenwärtigen Geniekult interessiert bzw. die soziologischen Gründe für eine solche Entwicklung. Das aber war ihm auszuarbeiten nicht mehr vergönnt, weshalb man in diesem Buch in den so zahlreich angeführten Quellen zu ertrinken droht: Die Verknüpfung der Fakten mit Theorien oder rezenten Szenarien fehlt weitgehend.

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