Bemerkungen zum Buch von Trojanow/Zeh: Angriff auf die Freiheit

Die Aktualität dieses vor 7 Jahren erschienenen Buches ist größer denn je: Seit einem halben Jahr herrscht in Frankreich der Ausnahmezustand, den man sich angesichts der Fußballeuropameisterschaft zu verlängern entschlossen hat. Ausnahmezustand, das bedeutet akute Staatskrise oder auch Kriegshandlungen – und genau mit solchen Kriegstermini werden diese Maßnahmen auch begründet. Wie schon weiland 2001 in den USA, als plötzlich alle Menschenrechtskonventionen außer Kraft gesetzt wurden, als man Gefangenenlager errichtete, deren Insassen nicht mehr Recht hatten (und haben) als Häftlinge in Nordkorea und die ebenso der Folter ausgesetzt wurden wie in totalitären Staaten (und Donald Trump kündigt für seine mögliche Präsidentschaft eine noch schärfere Gangart an).

Dies alles geschieht im Namen der Freiheit, der Sicherheit. Es hat etwas Kurioses und Paradoxes, dass wir unsere elementarsten Freiheitsrechte deshalb einschränken, um genau diese Freiheit uns zu bewahren. Dieser Widerspruch fällt kaum auf, die Sonntagsreden von Politikern stimmen uns auf diverse Katastrophenszenarien ein, stets wird nur noch die Frage nach dem „wann“ gestellt, dass uns Anschläge furchtbarsten Ausmaßes drohen und auch ereilen werden, steht außerhalb jeder Diskussion. Und die Medien sekundieren: Kaum ein Beitrag, in dem die „terroristische, islamistische Bedrohung“ nicht thematisiert wird, es wimmelt nur so von Schläfern, islamistischen Netzwerken und Selbstmordattentätern.

Um dieser Bedrohung Herr zu werden gilt es zu überwachen: Vor allem das Internet, die elektronische Inkarnation alles Bösen, dann die Kommunikation, aber auch im Sinne der Prävention alles, was da irgend öffentlich ist an Plätzen, Warteräumen oder Veranstaltungshallen. Diese Kontrolle, deren Notwendigkeit man uns suggeriert, hat nur bislang weder in Österreich (wo es bislang noch nicht einmal zu Vorbereitungen für einen Anschlag gekommen ist) noch in Deutschland (die sogenannte Sauerland-Gruppe wurde anhand konventioneller Ermittlungsmethoden ausgeforscht) zu irgendeinem greifbaren Resultat geführt, die Vorratsdatenspeicherung ist diesbezüglich ebenso wertlos (obschon sie sich in Österreich vor allem bei übler Nachrede oder Beleidigungen bewährt: In über 90 % der Fälle handelt es sich nämlich um derart staatsgefährdende Delikte, die damit aufgeklärt werden).

Und all das wird von den allermeisten hingenommen, man habe nichts zu verbergen, sei unbescholten und harmlos, das betreffe ohnehin nur potentielle Selbstmordattentäter – und hier sei das Mittel doch wohl angebracht. Nur dass, wie oben erwähnt, die apostrophierten Attentäter damit keineswegs überführt werden. Während wir uns daran gewöhnen, dass unsere Korrespondenz, unsere Telefongespräche, unsere Privatsphäre ausspioniert werden und dabei vergessen, dass wir sehr wohl was zu verbergen haben: Nämlich genau dieses unser privates Leben, das weder dem Staat noch irgendwelchen anderen Organisationen etwas angeht, das die Grundlage unserer Freiheit ist, unserer Unabhängigkeit, wenn wir denn die Orwellschen Zustände vermeiden wollen. Und so finden sich die Fahndungserfolge auch (neben den erwähnten Nachbarsstreitigkeiten) in gänzlich anderen Bereichen: Bei Tierschützern, im Vorfeld von Demonstrationen gegen G7(8)-Treffen, Unweltschutzorganisationen etc.

Dabei bleibt selbstverständlich unbestritten, dass die Gefahr von Anschlägen (von wem auch immer, es muss nicht immer ein Islamist sein: Die drei Toten vor einigen Wochen in Vorarlberg gingen auf das Konto eines Neonazis; ich möchte nicht die Berichterstattung sehen, wenn es sich hier um einen bekennenden Moslem gehandelt hätte) besteht. Nur kann man sie nicht durch einen Überwachungsstaat verhindern, durch unzählige Kameras (wie nützlich diese sind zeigte das Beispiel Köln, 1000 Stunden Videomaterial brachten nicht ein verwertbares Ergebnis), sondern – vielleicht – durch verbesserte Schulbildung, Chancengleichheit, soziale Maßnahmen zur Verhinderung von Ghettobildung und dergleichen mehr. Und außerdem sollten wir uns von der Hoffnung auf absolute Sicherheit verabschieden: Diese gibt es nicht, auch wenn Versicherungen anderes versprechen. Ein wenig mehr Realismus wäre im übrigen auch angebracht: In Deutschland ist etwa die Wahrscheinlichkeit, von der CIA verschleppt und in ein Foltergefängnis gebracht zu werden, größer als einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen – und in fast allen westlichen Ländern sollte man dessen gewärtig sein, dass der Tod durch Blitzschlag ungleich wahrscheinlicher ist als der durch einen mit Sprengstoffgürtel bewehrten Islamisten.

Wir benehmen angesichts uns der „Gefahren“ höchstgradig lächerlich (was denn an und für sich noch kein Problem wär, Lächerlichkeit an sich birgt noch kein Risiko), aber wir begreifen nicht, was wir mit dieser uns politisch und medial eingeredeten Furcht und der damit verbundenen Akzeptanz von Maßnahmen einhandeln. Indem wir uns nämlich den Moralstandard jener Mörder zueigen machen, die wir zu bekämpfen vorgeben. Es gab auch in Deutschland Bestrebungen, potentielle Terroristen außerhalbe des Rechtsstaates zu stellen (wie das in den USA geschehen ist), wir sehen unsere Freiheit bedroht und beschließen, uns genau dieser Freiheit zu begeben, indem wir sie gesetzlich beschränken bzw. auf genau das freiheitliche Leben verzichten, gegen das sich die Anschläge in Paris oder Brüssel richteten. Bei aller Tragik, bei allem Mitgefühl für die Betroffenen: Das demokratische Europa mag von vielen Dingen bedroht werden (etwa von nationalistischen Regierungen, Steuerungerechtigkeiten in großem Stil oder ökologischem Raubbau), von diesen Selbstmordattentätern aber nicht. Außer wenn wir ihnen die Arbeit abnehmen.

Und so nebenbei: Das Copyright für den vielgefürchteten IS haben die USA und ihre Unterstützer im Irakkrieg. Der auch aus Sicherheitsgründen geführt wurde, um der Bedrohung Herr zu werden. Mit wahrlich durchschlagendem Erfolg. – Ach, das Buch, fast vergessen: Gut geschrieben und recherchiert, wenn auch für den, der sich mit dieser Problematik beschäftigt, nicht wirklich viel Neues drin steht. Da man aber aufgrund der herrschenden Meinung, der allgemein verbreiteten Hysterie nicht davon ausgehen darf, dass der Irrwitz all dieser „Antii-Terrormaßnahmen“ in das Bewusstsein der Menschen gedrungen ist, ein eminent wichtiges und lesenswertes Buch.

Ilija Trojanow, Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit. München: Hanser 2009.

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