Zur Untermauerung dieser These weisen sie auf den kaum zu überschätzenden Einfluss des Islam auf das christliche Abendland hin: Das Hochmittelalter verdankt der muslimischen Wissbegierde nicht nur den Aristoteles, sondern unzählige weitere antike Schriften (etwa den Galen oder – auf gänzlich anderem Gebiete – eine reiche Erzähltradition) – und dieser Islam hatte nicht nur Brückenfunktion, sondern trug – vor allem auf naturwissenschaftlichem oder mathematischem Gebiet – enorm viel bei zu all dem, was manchem fälschlicherweise als eine abendländische Errungenschaft erscheinen will (so wird u. a. auch die Wichtigkeit der astronomischen Kenntnisse des Orients für die Entstehung des kopernikanischen Weltbildes betont, ein Einfluss, der noch immer nicht zur Gänze aufgeklärt wurde).
In einem weiteren Abschnitt wird dann auf den synkretistischen Charakter der Glaubenssysteme im allgemeinen (und des Christentums im besonderen) hingewiesen. Die soteriologischen Komponenten wurden großteils aus dem Persischen entlehnt (wobei der persische Einfluss auch auf das Judentum und das AT über die babylonische Gefangenschaft enorm war: Die Autoren vertreten hier die Auffassung, dass sich die Entwicklung vom Wüsten- und Wettergott zu einem Gott der Schrift und des Buches während jener Zeit vollzogen hat), anderes stammt aus der ägyptischen oder griechischen Tradition bzw. aus dem fernen Osten (so sind auch buddhistische Elemente in die christliche Religion eingangen). Das alles ist im Grunde nicht weiter erwähnenswert und allgemein anerkannter Wissensstand: Würden nicht die Kirchen so sehr auf ihrer (eingebildeten) Besonderheit bestehen (Hugo Rahner, ein auch von philosophischen Kreisen hofierter Theologe, hat sich beispielsweise mit der Aussage hervorgetan, dass das Christentum so gut wie keinen fremden Einflüssen erlegen sei).
In einem dritten Teil wird das auch für den Hinduismus untermauert: Die „Hindutva“ strebt für Indien das an, was man im Islam als Gottesstaat bezeichnen würde. Dass der Hinduismus aber – wie alle anderen Religionen – unzähligen Einflüssen ausgesetzt war und man keineswegs auf eine – bloß imaginierte – 8000jährige Geschichte zurückgreifen kann, liegt auf der Hand, wird jedoch in altbewährter Manier von der Orthodoxie in Abrede gestellt. Daher entspricht die These der gegenseitigen Beeinflussung von Kulturen (die eben keineswegs abgeschlossene Einheiten bilden, wie das von Huntington behauptet wird) selbstverständlich der geschichtlichen Realität: Allerdings kenne ich keinen ernstzunehmenden Historiker, der dies in Abrede stellen würde.
Implizit aber wird mit dieser These noch mehr gesagt: Dass nämlich diese zahlreichen Berühungspunkte bzw. der Austausch kultureller Errungenschaften auch zu einem friedlichen Zusammenleben führen würden. Das aber ist nur ansatzweise der Fall (obgleich jede Art des Austausches einem Sich-Abschließen vorzuziehen ist, weil nur dadurch Verständnis beim anderen erweckt werden kann), denn religiöse Strömungen sind per defintionem intolerant (und wenn sie es nicht sind, sind sie dem Untergang geweiht). Eine Religion, die keinen Wahrheitsanspruch erhebt (und damit alle anderen Religionen der Lüge bezichtigt), ist lächerlich: Ein Christ kann nicht buddhistische, hinduistische oder andere religiöse Strömungen anerkennen, ohne sein Christsein aufzugeben. Deshalb sind Sätze wie „Wenn die Christen das Fest der Heiligen Drei Könige feiern, der Ankunft der drei Weisen aus dem Osten, gedenken sie unwissentlich der philosophischen, spirituellen und ästhetischen Gaben aus der Religion der Magier-Priester; Gaben, die sich als wertvoller erwiesen haben als Edelmetalle und Gewürze“ mit Vorsicht zu genießen: Selbstverständlich ist der erste Teil dieses Satzes richtig, dass aber dieser synkretistische Zusammenfluss (der – wie man bei Rahner sieht, abgestritten werden muss) etwas Wertvolles bewirkt habe, ist denn doch zu bezweifeln. Denn es spielt keine Rolle, von welchen Dogmen der Gläubige überzeugt ist (auch wenn man über deren Herkunft eine Relativierung erreichen könnte, eine Relativierung, die für den überzeugt Glaubenden aber belanglos ist), sondern es ist einzig die Tatsache, dass er an diesen Dogmen glaubt, wichtig.
So führen Kulturen abseits ihrer religiösen Verfasstheit möglicherweise keine Kämpfe gegeneinander (weil sie auch nicht mit dem dogmatischen Wahrheitsproblem in seiner strengen Form zu tun haben, obschon der Kulturchauvinismus auch zu solchen unversöhnlichen Einstellungen neigt); aber Religionen müssen dies tun und können sich einzig dort zusammenfinden, wo sie mit atheistischen Strömungen konfrontiert werden (etwas, das immer wieder in westlich-säkularen Ländern zu beobachten ist, wenn es beispielsweise um den staatlichen Religionsunterricht geht: Besser die Konkurrenz zulassen als gänzlich aus dem Einflussbereich für die Kindererziehung verdrängt zu werden). Diese Differenzierung kommt mir in diesem Buch viel zu kurz: Hier wird ein verklärtes Lied der Toleranz angestimmt, das in Bereichen, die per se intolerant sind (sein müssen), ein Wunschdenken bleiben muss. Kulturen können sich austauschen, man kann die indisch-arabischen Zahlen übernehmen, nicht aber ihre Götter: Und wenn doch muss die synkretistische Auffassung erneut dogmatisiert werden, um nicht zur Belanglosigkeit zu verkommen.
Ilija Trojanow, Ranjit Hoskoté: Kampfabsage. München: Blessing 2007.