Ernst Mach: Die Analyse der Empfindungen

Gelesen in der 5. Auflage von 1906. Dies ist insofern wichtig, als Mach von Auflage zu Auflage den Text ergänzt und geändert hat; m.W. existiert auch noch eine 6. Auflage, ebenfalls noch mit Änderungen und Ergänzungen Machs. Die 1. Auflage datiert von 1885.

Das Buch ist nur zu Beginn und dann wieder ganz am Schluss als ‚philosophisch‘ zu bezeichnen, über weite Strecken beinhaltet es Machs Anmerkungen zur Physiologie und Psychologie der Empfindungen. In den Antimetaphysikschen Vorbemerkungen (= Kapitel I des Buchs) verwahrt sich Mach insbesondere gegen einen Vergleich seiner Philosophie mit der von George Berkeley bzw. mit der Immanuel Kants. Mach spricht jeder Form von Hypostasierung eine Existenzberechtigung ab – und damit sowohl dem ‚Ich‘ Berkeleys als auch dem ‚Ding an sich‘ Kants – den beiden Polen philosophischer Weltrekonstruktion. Selbst als Hilfskonstrukt, zu dem das ‚Ding an sich‘ bei Kant dient, lehnt es Mach ab. Für ihn gibt es kein unerkanntes oder gar unerkennbares Substrat der Empfindungen, sondern nur die Empfindungen, die wir je nach Gegebenheiten so oder anders gruppieren:

Auch das Ich, sowie das Verhältnis der Körper zum Ich, gibt Anlaß zum Auftreten analoger Scheinprobleme, deren Kern im folgenden kurz angegeben werden soll. Die zuvor statuierten Elemente wollen wir durch die Buchstaben A B C . . . . K L M . . . α β ɣ . . . andeuten. Die Komplexe von Farben, Tönen, u. s. w., welche man gewöhnlich Körper nennt, bezeichnen wir der Deutlichkeit wegen mit A B C . . . .; den Komplex, der unser Leib heißt, und der ein durch Besonderheiten ausgezeichneter Teil des ersteren ist, nennen wir K L M . . . .; den Komplex von Willen, Erinnerungsbildern u. s. w. stellen wir durch α β ɣ . . . . dar. Gewöhnlich wird nun der Komplex α β ɣ . . . K L M . . . als Ich dem Komplex A B C . . . als Körperwelt gegenübergestellt; zuweilen wird auch α β ɣ . . . . als Ich, K L M . . . . A B C . . . . als Körperwelt zusammengefasst.

Im wissenschaftlichen Teil setzt sich Mach dann mit verschiedenen Empfindungen auseinander. Das Sehen konstituiert seiner Meinung nach den Raum, das Hören die Zeit. Für letzteres dienen das Beispiel der Takte in der Musik. Darwins Evolutionstheorie wird zwar angesprochen, von Mach auch akzeptiert, aber weiter gehende Schlüsse von der Ähnlichkeit tierischer Organe mit menschlichen auf eine eventuelle Ähnlichkeit der Rezeption liegen ausserhalb des ‚Erkenntnisinteresses‘ Machs und werden nur angedeutet. Näher liegt Mach schon die Psychologie von William James. Die beiden haben einander offenbar fleissig zitiert. Eine Verwandtschaft zum Pragmatismus ist Mach tatsächlich nicht ganz abzusprechen: Auch bei ihm sind es Ereignisse in der Welt von A B C . . . ., die Ereignisse in K L M . . . . hervorrufen. Allerdings scheint mir Mach weniger Wert auf menschliche Praxis zu legen wie James oder Peirce. (Letzteren hat er offenbar nicht gekannt.)

Schade, dass Mach heute nicht mehr gelesen wird.

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