Günter de Bruyn: Sünder und Heiliger

de Bruyn ist bekannt durch seine Jean-Paul-Biografie von 1975. Mehr als 40 Jahre später hat er nun mit der Biografie eines weiteren „randständigen“ Romantikers nachgelegt.

Zacharias Werner kam 1786 in Königsberg zur Welt. Ein Studium der Rechte und Kameralistik brach er ab; lieber heiratete er eine junge Frau zweifelhaften Rufs, eine Prostituierte. Die Ehe hielt nicht lange; aber Werners eigener Ruf war kompromittiert. So lange er sich in Preussen aufhielt und im dortigen Staatsdienst unterkam, bleiben ihm nur subalterne Stellen vorbehalten.

Dieses Verhaltensmuster zieht sich durch Zacharias Werners Leben. In einem Zeitalter des Freundschaftskults ist er weder in der Lage Freundschaften zu schliessen, noch (eheliche) Partnerschaften. Er war dreimal verheiratet. Die beiden ersten Ehen wurden sehr rasch wieder geschieden, erst in der dritten Frau hat Werner offenbar seine Liebe fürs Leben gefunden. Leider war er nicht die ihre – sie liess sich scheiden und heiratete seinen Verleger. Auch wirkliche Freunde finden wir keine in Werners Leben. Wo Schiller und Goethe, Brentano und von Achim, die beiden Schlegel und Novalis, Tieck und Wackenroder den Kult des kongenialen Dichter-Freundes zelebrierten, scheiterte bei ihm noch in Königsberg eine Zusammenarbeit mit E. T. A. Hoffmann. Die beiden, Arbeitskollegen in Königsberg, wollten zusammen ein Singspiel verfassen, zu dem Werner das Libretto und Hoffmann (der sich zu jener Zeit noch als Musiker verstand) die Komposition beisteuern sollte. Über vage Pläne gedieh das Vorhaben nicht hinaus.

Werner war ein Zerrissener, dem die Bewegung von Ort zu Ort offenbar eine zwischenmenschliche Beziehung ersetzte. Politik kümmert ihn wenig, und so wandert er im von den Napoléonischen Kriegen gebeutelten Europa herum. Wir finden ihn in Jena und Weimar, wo Goethe eine Zeitlang hofft, in Werner einen Ersatz für Schiller als Hofdramatiker gefunden zu haben. Wir finden ihm am Genfersee bei Mme de Staël, wo August Wilhelm Schlegel den katholisierenden Werner wohl eher misstrauisch beäugt. Ganz anders sein Bruder Friedrich, der den bereits Konvertierten als Furore machenden Prediger im Umfeld des Wiener Kongresses erlebt. Wir finden ihn in Rom, wo er vom Papst Dispens erhofft für seine drei Scheidungen – eben weil er unterdessen Priester werden will. Den Dispens erhält er schliesslich in Regensburg, von Dalberg, und so beschliesst er sein Leben in Wien als Prediger.

Werner machte als Dramatiker Furore, obwohl seine Dramen mit den technischen Mitteln jener Zeit kaum aufführbar waren, eher langen und riesigen Opern glichen, wie sie dann Wagner gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die Bühne bringen sollte. Das Stück, für das er heute noch bekannt ist, Der verundzwanzigste Februar, ist mit seiner straffen Handlung und dem wenigen Personal, das es benötigt, eine Ausnahme in seinem Werk – geschaffen für Goethe und das Weimarer Theater, als Werner noch irgendwie hoffte, dort unterzukommen. (Denn auch das ist typisch für Werner: Er hat kaum konkrete Pläne für seine Zukunft; und wenn er welche hat, scheitern sie meist.)

Werner war Freimaurer, was ihm an vielen Orten die Türen öffnete. Aber auch unter Maurern hatte er keine eigentlichen Freunde. Werner war eine Zeitlang ein berühmter Autor. Aber er konnte seine Bekanntheit weder in reelle noch in ideelle Münze umsetzen. Werner war … aber … – dieses Muster zieht sich durch sein Leben.

Günter de Bruyns Biografie nimmt diese Zerrissenheit Werners zum Leitfaden und folgt ihm durch die Mäander seines Lebens. Der Ostpreusse gehört nicht zu den ganz Grossen der deutschen Literatur, und viele kennen ihn schon gar nicht mehr; aber eine Beschäftigung mit ihm lohnt sich – vielleicht mehr als eine Beschäftigung mit seinem Werk. Und die kleine, aber feine Biografie de Bruyns kann ich dafür nur empfehlen.


Günter de Bruyn: Sünder und Heiliger. Das ungewöhnliche Leben des Dichters Zacharias Werner. Frankfurt: Fischer, 2016.

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