E. M. Forster: Die Maschine steht still [The Machine Stops]

Klappentext kann man es eigentlich nicht nennen, denn meine Ausgabe des kurzen Texts Die Maschine steht still von Edward Morgan Forster1) ist zwar Hardcover (Leinen), aber hat keinen Schutzumschlag, a fortiori also keine Klappen. Der ‚Klappentext‘, den ich meine (und auf den schon andere hingewiesen haben), ist auf dem hinteren, äusseren Buchdeckel zu finden:

Die Erzählung Die Maschine steht still, 1909 veröffentlicht – also Jahrzehnte, bevor es die ersten Computer gab –, ist vermutlich die früheste und wahrscheinlich auch heute noch treffendste Beschreibung des Internets. Wie E. M. Forster das gemacht hat, bleibt ein Geheimnis. (Jaron Lanier)

(Im Grunde genommen ein weiterer Fall davon, dass ein Verlag versucht, mit einer heutigen, ephemeren Berühmtheit einen bereits auf eigenen Kredit berühmten Autor in der Meinung des Publikums zu pushen.)

E. M. Forster kennt man vor allem wegen seines – ein Jahr nach Die Maschine steht still geschriebenen – Romans Howards End und wegen A Passage to India von 1924. Er gehörte zur sog. Bloomsbury Group, als deren prominentestes literarisches Mitglied Virginia Woolf zu nennen ist. Im Gegensatz zu Woolfs Stil ist Forsters Schreibweise in Die Maschine steht still sehr konservativ zu nennen: Wir finden einen auktiorialen Erzähler, der die Ereignisse chronologisch widergibt und sich praktisch jeden Kommentars enthält.

Inspiriert von Wells‘ The Time Machine2) schildert Forster eine zukünftige Erde, in der  Menschen unterirdisch leben. Sie meiden dabei jeden persönlichen physischen Kontakt und kommunizieren nur über die Maschine, die ihnen nicht nur eine Art Instant-Messenger-System zur Verfügung stellt, sondern auch die Möglichkeit, Musik oder belehrende Vorträge auf verschiedenen Kanälen zu hören, ja solche Vorträge selber zu halten. Die Maschine ist aber auch dafür verantwortlich, dass regelmässig frische Luft in die Höhlensysteme eingeführt wird, und teilt jedem Bewohner eine persönliche unterirdische Zelle zu. Die Menschen müssen sich um nichts mehr kümmern und diese Zelle auch nicht verlassen. Allerdings existiert – wohl aus früheren Zeiten – noch ein überirdisches Transportsystem mit Luftschiffen, die pünktlich nach Fahrplan verkehren. (Man sieht: Das Flugzeug hat Forster nicht auch noch neben dem Internet vorhergesehen. Den Computerbildschirm allerdings schon.)

Um eines allerdings müssten sich Forsters Unterirdische kümmern. Um die Instandhaltung der Maschine selber nämlich. Doch dies geht im Laufe der Zeit vergessen und damit auch das eigentliche Wissen darum, wie die Maschine gewartet und repariert werden könnte. Es kommt wie es kommen muss: Die Maschine, die zuerst nur kleine Defekte aufweist, die die Menschen rasch vergessen und verdrängen, gibt ihre Funktion endgültig auf. Ein Luftschiff, das nicht mehr von ihr geleitet wird, rast von oben in die Stadt, in der unsere beiden Protagonisten, Kuno3) und seine Mutter Vashti, leben. Die Stadt geht ebenso zu Grunde wie Kuno und Vashti.

Kuno aber hat schon lange zuvor einen Weg gefunden, wie er an die Erdoberfläche kommen kann. Er kann dort nicht lange bleiben. Einerseits ist die Oberfläche für ihn, den Höhlenmenschen, sehr ungesund. Andererseits empfindet die Maschine sein Austreten an die Erdoberlfläche als Funktionsstörung und schickt eine Art weisser Würmer (Wartungsroboter?), die die Störung beseitigen sollen – will sagen: den Störefried töten. Er erfährt im Kampf gegen die Würmer Hilfe von einer Oberirdischen, die ihm die Flucht zurück in das Höhlensystem ermöglicht, dabei allerdings selber von einem Wurm getötet wird. (Vielleicht empfindet die Maschine ja die Oberirdischen, die unabhängig von ihr leben können, als die grössere Gefahr als den Unterirdischen, der für kurze Zeit an die Oberfläche geriet?)

Es ist also kein Wunder, dass Lanier voller Bewunderung für diese kurze Geschichte ist, die so eindrücklich vor den Gefahren des Internet warnt, bzw. davor, wie gefährlich es ist, sich völlig aufs Internet und seine Gadgets zu verlassen. Forster propagiert die Vorteile eines von der Maschine unabhängigen Lebens, das – zumindest von Kuno (und im Sterben auch von seiner Mutter) – als das bessere empfunden wird. Man kann dazu stehen, wie man will. Ohne Internet in der heutigen Form hätte ich diesen Beitrag wohl schreiben, aber nicht wie Vashti mit ihren Vorträgen einem weiteren Publikum präsentieren können.


1) Aus dem Englischen von Gregor Runge. Hamburg: Hoffmann und Campe, 22016.

2) Und wahrscheinlich seinerseits eine Inspiration für Isaac Asimovs Caves of Steel, wo die Menschen der Erde allesamt unterirdisch in „Stahlhöhlen“ leben und eine Phobie davor haben, sich den Weiten der Erdoberfläche auszusetzen. Allerdings haben Asimovs Erdmenschen keine Phobie davor, andere Menschen zu sehen und zu spüren. Diese Angst hat Asimov in die Bewohner eines von Menschen kolonialisierten fremden Planeten verlagert, die zwar in die freie Natur (ihres gehegten Gartens!) gehen können, aber nicht unter fremde Menschen. (Im Gegensatz zu Forster wirft Asimov auch die Frage auf, wie denn diese Menschen zu Kindern kommen können, wenn die dazu nötige körperliche Nähe nicht nur verpönt, sondern de facto unmöglich geworden ist.)

3) Er heisst auch im Original so!

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