„Von Larven und Puppen“ ist eine Art Erziehungsratgeber aus biologischer Sicht: Dekkers vergleicht die Entwicklungsstadien von Insekten (oder Säugetieren) mit dem vom Menschen produzierten Nachwuchs und gelangt zu einer das Buch fundierenden These. Dass nämlich Kinder (und Larven und Puppen) sich dezidiert von den erwachsenen Exemplaren unterscheiden. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, so wie eine Raupe nicht als Schmetterling angesehen bzw. behandelt werden kann. Daher lautet die Antwort auf den provokanten Untertitel (ob man denn Kinder wie (erwachsene) Menschen behandeln solle) ganz entschieden nein.
Das Unterhaltende des Buches liegt in den zynischen, oft sarkastischen, immer aber treffenden (und den Menschen auf sein „Tier-Sein“ reduzierenden) Vergleichen: Etwa die Verpuppung der Zimmer von Pubertierenden, die in ihrer rauschhaften hormonellen Katastrophe verzweifelt zwischen sich und der Umwelt eine Grenze zu ziehen versuchen. Das alles immer mit einem wissenschaftlich-biologischen Unterton, der die Romantik des Kinderkriegens und -erziehens (sofern das denn so romantisch überhaupt ist: Es ist wohl vielmehr die Vorstellung) auf das funktionale Überleben der Art reduziert: Entweder man kriegt viele Kinder (und braucht sich um die Brut nicht zu kümmern – im Gegenteil: Diese wird manchmal sogar aufgefressen von den eigenen Erzeugern, noch öfter aber von den Geschwistern) oder aber wenige, für die man dann einiges zu opfern bereit sein muss. Auch wenn dieses Produkt wenig anziehend ist: „In seinen Exkrementen liegend, windet es sich wie eine gerade noch lebensfähige, extrautinere Schwangerschaft, ein kleines Monster, das nicht einmal das Tageslicht verträgt und vollkommen kindisch und hinfällig ist. […] Wäre eine Mutter objektiv, sie würde ihr Pfuschwerk tief in der Wiege verstecken, sämtlichem Besuch absagen und der Hebamme einen Prozess anhängen.“
Unter diesem Blickwinkel ergeben sich pragmatische, aber hilfreiche neue Sichtweisen: Sichtweisen, die einer dümmlichen Verklärung entsagen und Leben auf einen pragmatischen Zweck reduzieren (schon die Produktion dieser „kleinen Wunder“ verläuft ja häufig sehr viel prosaischer als in diversen Romanen dargestellt). Er eröffnet aber die Möglichkeit, diesem heranwachsenden Leben mit sehr viel mehr Verständnis gegenüberzutreten, mit Nachsicht und – vor allem – Humor. Wer nicht ständig vom Göttlichen im Menschen schwadronisiert, sondern denselben als eine Art Fress- und Scheißmaschine ansieht, die an diesem ihrem Zustand aber recht viel Freude hat und ganz nebenbei auch sowas wie Geist besitzt (wundersam genug), der wird dem Homo sapiens sehr viel eher gerecht. Ganz nebenbei kriegen auch große Theoretiker der Kindheit ihr Fett ab: Aufgrund der rein hormonellen Betrachtung führt Dekkers etwa Freuds abstruse Thesen von der Sexualität des Kleinkindes (oder Heranwachsenden) ad absurdum: Ohne die Produktion spezifischer Hormone kein Sex. Punktum.
Und so ist dieses Buch rundum gelungen (wenn es etwas zu kritisieren gäbe, dann wäre das Dekkers allzu flapsige Behandlung der Transsexualität), es vermittelt biologisches Wissen und ist – eine wirkliche Seltenheit – tatsächlich unterhaltend. Vielleicht nichts für allzu Zartbesaitete (oder gerade Gebärende), wobei es (für mich) gerade die manchmal brutal anmutende Reduktion des Menschen auf seine Biologie ist, die das Buch so reizvoll macht: Weil wir dadurch zur Bescheidenheit aufgerufen werden und unsere Gemeinschaft mit allem, was da kreucht und fleucht, offenbar wird. Nichts hat mehr Unheil verursacht als der Glaube an den Menschen als Krone der Schöpfung: Nicht nur gegenüber unserer Umwelt, sondern auch gegenüber unseren Mitmenschen, denen wir diese Krone üblicherweise nicht zugestehen wollen. Eine Besinnung auf unsere biologischen Wurzeln kann da nur heilsam sein: Indem wir allem Leben mit Respekt gegenübertreten. Es sind auch nur Fress- und Scheißmaschinen – und sie würden ebenfalls gerne leben.
Midas Dekkers: Von Larven und Puppen. Soll man Kinder wie Menschen behandeln? München: btb 2005.