Hans Heinz Holz, ein Schüler Blochs, war vielleicht der letzte kommunistische Philosoph auf einem deutschen Lehrstuhl. Ich hatte ihn von Aufsätzen, die ich vor langer, langer Zeit mal gelesen habe, als einen einigermassen undoktrinären Geist in Erinnerung. Dass die Wissenschaftliche Buchgesellschaft die 5 Bände seiner 2011 erschienenen Dialektik nun zu reduziertem Preis anbot, gibt mir die Gelegenheit, meine Erinnerungen aufzufrischen und zu verifizieren.
Auf dem hinteren Buchdeckel ist Dialektik definiert als „Lehre vom Denken“, was Holz die Möglichkeit bietet, bei den frühesten Zeugnissen europäischen Philosophierens zu beginnen, bei den sog. Vorsokratikern. Erst spät nämlich, bei Demokrit, kann er eine wirkliche dialektische Bewegung im Sinne der Hegel’schen Gebrauchs des Ausducks ausmachen und beschreiben. Denn daran, dass Hegels Dialektik (ev. in Marx’scher Ausprägung?) der Ziel- und Höhepunkt seiner Philosophiegeschichte werden soll, lässt schon Band I keine Zweifel – auch wenn der tatsächlich relativ undoktrinär geschrieben ist. Die Tatsache, dass er das Entstehen der Philosophie auf sozio-ökonomische Gegebenheiten zurückführt, ist im 21. Jahrhundert kein Alleinstellungsmerkmal kommunistischen Philosophierens (gibt es das?) mehr. Auch verlässt er diesen Argumentationsstrang recht rasch und widmet sich einer intensiven und detaillierten Textanalyse.
Selbst Holz kann nicht anders, als die Geschichte der Dialektik an Namen festzumachen. So werden Stück für Stück die bekannten Namen der Vorsokratik präsentiert und auf ihr dialektisches Denken untersucht. Eigentlich aber wird vor allem deren Ontologie und Epistemologie vorgestellt. Nicht viel anderes also, als die hier schon vorgestellten Zeller, Gomperz oder Nestle schon getan haben – auf deren Werke er sich übrigens auch immer wieder bezieht, neben denen von Gigon (Der Ursprung der griechischen Philosophie) und Burckhardt (Griechische Kulturgeschichte). Klassische Philosophiegeschichte also.
Da Holz Texte interpretiert, fehlt unter den Vorsokratikern konsequenterweise Leukipp, den er (wie Nestle im oben verlinkten Buch) unter Demokrit subzusummieren bittet. Konsequenterweise fehlt ebenfalls Sokrates. Hier hat Holz allerdings noch andere Gründe als die Tatsache, dass von Sokrates keine eigenen Texte überliefert sind: Sokrates ist für ihn kein Philosoph, sondern ein rechts-konservativer Strassenagitator, der unterm jungen Volk gegen die attische Demokratie gehetzt hat. Dass Sokrates die Philosophie von ontologischen Fragen auf solche der Ethik geführt hat, ist für Holz offenbar irrelevant. Und wenn er die Sophisten vom schlechten Ruf befreien will, den ihnen Platon eingebrockt hat, so stellt er ihre Philosophie dennoch nicht näher vor. Bei Platon selber interessiert ihn neben dessen Höhle vor allem die späte Philosophie, bei Aristoteles vor allem ein paar Bücher der Metaphysik. Nach Aristoteles folgen ein paar Worte über die Akademie, Epikur und die Stoa. Ein grösseres Kapitel zu Plotin (Nous und Psyche – seit Demokrit findet Holz tatsächlich überall dialektische Bewegung im Denken) und Proklos als je verschiedene Varianten des Neuplatonismus. Den Abschluss macht ein Kapitel über die Gnosis, für ihn eine orientalisch-mystische Gegenbewegung zur griechischen, Logos-orientierten Philosophie, eine Gegenbewegung, deren Auswirkungen noch die Kirchenväter beschäftigen sollte. (Das Christentum für Holz übrigens explizit keine gnostische Bewegung!) Das römische Philosophieren ist offenbar zu epigonal, um Erwähnung zu verdienen.
Auch wenn ich Holz‘ Befunden nicht überall zustimmen möchte, so ist er doch mit seinen akribischen Anaylsen sehr interessant zu lesen und öffnet in dem einen oder andern Fall tatsächlich einen neuen, anderen Blick auf den einen oder andern antiken Autor.
2 Replies to “Hans Heinz Holz: Dialektik. Problemgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Band I: Sein und Werden. Problemgeschichte der Dialektik in der Antike”