David J. Hand: Die Macht des Unwahrscheinlichen

Hand, emeritierter englischer Mathematikprofessor nimmt sich der Unwahrscheinlichkeit an: Das Unwahrscheinlichkeitsprinzip nach Émile Borel besagt, dass hinreichend unwahrscheinliche Ereignisse auch unmöglich sind. Warum sie trotzdem passieren und was genau dabei nicht berücksichtigt wird, ist Gegenstand des Buches.

Das könnte interessant sein. Aber was in den folgenden zehn Kapiteln erzählt wird, ist zwar vom anekdotischen Blickwinkel aus durchaus lesbar, es hat aber – leider – mit der angekündigten Unwahrscheinlichkeit nur am Rande zu tun. Oder besser: Das ganze Buch ist eine reine Erzählung, Berechnungen sucht man auf weiten Strecken vergebens und der Anhang, der zumindest eine Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie verspricht, ist bestenfalls für Grundschüler geeignet. Das macht einen spannenden und geistreichen Ansatz völlig zunichte: Denn man hätte (wie etwa in von Randows „Ziegenproblem“) die nicht wirklich so komplizierten Berechnungen vorstellen und so den Sinn für Mathematik erwecken können. Dass ausgerechnet ein Mathematikprofessor darauf verzichtet, hat mich enttäuscht und verwundert.

Und so bleiben Erzählungen und Anekdoten darüber, dass höchst Unwahrscheinliches passieren und man dennoch von allen supernaturalistischen Erklärungen absehen kann. Die Gründe werden aufgezählt (etwa das Gesetz der ganz großen Zahlen, jenes der Unvermeidlichkeit (irgendetwas muss passieren), der Selektion (gerade die Beweise für Übersinnliches bedienen sich einer solchen selektiven Auswahl) oder das von Hand als „Wahrscheinlichkeitshebel“ bezeichnete Gesetz), aber – und der letzte Punkt ist dafür beispielhaft – der Autor bleibt jede weiterführende Erklärung schuldig. So beschreibt er die Normalverteilung im Gegensatz zur Cauchy-Verteilung, erwähnt aber mit keinem Wort die entscheidenden Unterschiede und den Grund dafür, er führt eine Tabelle über die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten von 5- oder 10 Sigma-Ereignissen an, ohne auch nur ein Wort über die Definition eines Sigma-Ereignisses zu verlieren (außer: Es ist extrem unwahrscheinlich, je größer Sigma ist).

Mir ist die Angst der Verlage vor mathematischen Formeln und der negativen Korrelation mit dem Verkaufserfolg eines Buches durchaus bekannt: Aber ein Buch über Mathematik ohne Mathematik zu schreiben ist denn doch ein Unding. Verkaufstechnisch mag es eine richtige Entscheidung gewesen sein, ich aber war enttäuscht. Von all den spannenden Ansätzen bleiben bestenfalls kleine Geschichtchen in Erinnerung – und die oft wiederholte Tatsache, dass es bei allen Ereignissen – so unwahrscheinlich sie erscheinen mögen – keiner Wunder bedarf. Das hätte ich auch ohne die Lektüre gewusst.


David J. Hand: Die Macht des Unwahrscheinlichen. München: C. H. Beck 2015.

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