Babbitt probt den Aufstand
Das könnte als Motto über diesem Roman des US-amerikanischen Literaturnobelpreisträgers Sinclair Lewis stehen.
George F. Babbit, das ist ein einigermassen erfolgreicher Immobilienmakler, ungefähr Mitte 40, mit einem ein bisschen mehr als nur leichtem Ansatz zur Fettleibigkeit. Er gehört in Zenith, einer fiktiven US-amerikanischen Kleinstadt im mittleren Westen, zur besseren Gesellschaft. Allerdings nicht zur ganz guten; der erstklassige Athletic-Club z.B. bleibt ihm verschlossen. Babbits ganzes Streben ist darauf bedacht, finanziell-gesellschaftlich Erfolg zu haben. Er wird in gewissen Masse eine lokale Grösse, bleibt aber darauf beschränkt. So, wie Zenith eine gewissen Grösse und Wichtigkeit erlangt hat, nämlich als kleine Grossstadt irgendwo im mittleren Westen. Es waren diese Städte, diese Leute, die den Aufschwung der USA nach der Grossen Depression möglich machten. Glaubte man jedenfalls damals. Glaubten diese Leute selber damals.
Babbit also ist der Prototyp des spiessigen, freundlich-skrupellosen, geld- und geltungsgierigen (Köhlmeier in seinem Nachwort) Menschen – und er ist in seinem Kreis einer von vielen.
Satire?
Handelt es sich bei Babbit um Satire oder nicht? Michael Köhlmeier, der das Nachwort zu meiner Ausgabe verfasst hat (zu dieser mehr weiter unten), will das verneinen. Er muss dann aber selber zugeben, dass das so einfach nicht ist. Satire als Deuten mit dem moralischen Zeigefinger des moralisch überlegenen Autors auf Zustände und Personen, die in ihrem Wesen lächerlich gemacht werden – und so definiert Köhler ‚Satire‘ mehr oder minder – Satire also ist in Babbit durchaus vorhanden. Babbits Gehabe, aber auch das Haus, in dem er wohnt, werden als Prototyp der durchschnittlichen Nullität, der Angepasstheit bis zum Geht-nicht-Mehr, gebrandmarkt, wenn z.B. die Inneneinrichtung des Babbit’schen Hauses als völlig identisch beschrieben wird zur Innneneinrichtung aller andern Häuser dieser modernen Siedlung, in der Babbit lebt (und die zu errichten er als Makler selber beigetragen hat).
Allerdings – das von mir gewählte Motto des Romans deutet es an, und das ist auch der Grund, weshalb Köhlmeier den Babbit zumindest als reine Satire verwerfen kann – allerdings erfasst den Immobilienmakler eine zunehmende Unzufriedenheit mit seinem Leben. Er empfindet den Job (er ist Eigentümer ein Immobilienmakler-Firma) und auch seine Ehe als zusehends langweilig und lästig. Er versucht, aus seinem alten Leben auszubrechen. Zuerst noch, indem er sich mit seinen Freunden zu Poker-Abenden trifft, bei denen viele Zigarren geraucht und viel Bier getrunken wird. (Zwar gilt in den USA noch die Prohibition, aber die besseren und die guten Kreise foutieren sich bereits darum. Nur in der Öffentlichkeit hält man noch den Schein aufrecht, indem man den Whisky aus Kaffeetassen trinkt.) Babbits Versuche, auf der andern Seite, sich von seinem von ihm als exzessiv empfundenen Zigarren-Konsum zu befreien, ziehen sich als eine Art Runnig Gag durch den ganzen Roman. Doch diese kleinen Ausbrüche genügen bald nicht mehr. Als nächstes folgen kurze Angler-Urlaube, ohne die Familie, aber zusammen mit seinem Freund Paul, der noch mehr als George an seinem Leben leidet und eine wirklich unglückliche Ehe führt. (Angeln: die Tätigkeit eines echten Mannes im Zenith’schen, und damit im US-amerikanischen (Selbst-)Verständnis.) Als die eheliche Situation bei Paul eskaliert, und er auf seine Frau schiesst, ist das auch das Signal für George, mehr sein zu wollen, als der angepasste Bürger und Ehemann. Er geht fremd (oder versucht wenigstens, die eine oder andere Affäre zu haben – selbst hier lässt Lewis‘ Satire sein Opfer nicht los). Er findet Anschluss an eine Clique jüngerer Lebemänner und -frauen (oder was er dafür hält). Er glaubt nicht mehr bedingungslos den Aussagen der republikanischen Senatoren seines Staates, sondern findet zu einer liberalen, fast linken Haltung. Er geht nicht mehr zur Kirche. Der Aufstand ist kurzlebig, schon rasch kehrt Babbit wieder in den Schoss von Kirche, Partei und Ehe zurück. Und doch: Ein bisschen was bleibt vom Aufstand erhalten. Er geht zwar wieder zur Kirche, dem Pastor aber geht er misstrauisch aus dem Weg. Und als sein Sohn das vom Vater gewählte Jus-Studium hinwirft, lieber heiratet und in der Fabrik arbeitet, unterstützt er ihn darin. Denn zumindest ein Babbit soll sich selber verwirklichen können.
Meine Ausgabe
Bei der von mir gelesenen Ausgabe handelt es sich um die 2017 in der Manesse Bibliothek erschienene Neuübersetzung von Bernhard Robben, mit einem Nachwort von Michael Köhlmeier. Letzteres bringt wenig Neues bzw. Interessantes, ausser dass wir erfahren, warum Lewis das Buch Edith Wharton gewidmet hat (sie hat ihm gerade einen Pulitzer-Preis vor der Nase weggeschnappt – Lewis sollte dafür für diesen Roman den Literatur-Nobelpreis erhalten). Wir erfahren von Lewis‘ Alkoholsucht, was biografisch interessant sein mag; fürs Verständnis von Babbit bringt das nichts. Wir erfahren, dass Lewis nicht zur ‚Lost Generation‘ gezählt werden darf – ich weiss nicht, wer das getan haben soll. Bernhard Robben, der Übersetzer, seinerseits rechtfertigt, warum er Babbit nicht im Deutsch der 1920er oder 1930er übertragen hat. Solche Entscheidungen lassen sich mit Fug und Recht anzweifeln; solche Entscheidungen lassen sich mit Fug und Recht verteidigen. Tatsache ist, dass Robbens Übersetzung sich äusserst flüssig liest, vielleicht aber eine Spur zu glatt ist. Wenn man aufgrund der Übersetzung urteilt, kann man Lewis jedenfalls nicht für einen speziell grossen Stilisten halten.
Last but not least ist dieser mein Babbit hier mein erster und bisher einziger Band der ’neuen‘ Manesse Bibliothek. Das Papier ist nicht mehr das gewohnte glatte, dünn-seidige, das man im Volksmund Bibeldruckpapier nennt. Es ist rauer, und die Seiten haben die Tendenz aneinander zu haften. Ein fiktiver Prospekt der fiktiven Stadt Zenith ziert die vorderen und hinteren Vorsatzblätter.
Ich kann noch nicht sagen, ob die Manesse Bibliothek mit dem Neustart an Qualität gewonnen hat. Babbit lässt mich eher daran zweifeln.