Was den Franzosen ihre Revolution, war den Deutschen ihr Fidelio. Während die Franzosen ganz praktisch ihren Tyrannen beseitigten und nicht davor zurückscheuten, ihn einen Kopf kürzer zu machen, wurde in Deutschland der Aufstand auf dem Theater geprobt. Allenfalls auch sonst – auf dem Papier, ob nun Damon, den Dolch im Gewande, zu Dionys schlich, oder Posa von Philipp II. Gedankenfreiheit fordert. (Doch schon Walter von der Vogelweide hatte gewusst – joch sint iedoch gedanke frî – dass diese sozialromantische Forderung Nonsense ist.) Es sind bei den Deutschen denn auch alles idealistische Einzelgänger, ohne Gefolgschaft und deshalb auch ohne Wirkung – nicht einmal die indirekte, dass irgendeines der Werke Schillers in Deutschland die Revolution befördert oder gar bewirkt hätte.
Nahtlos an Schiller fügt sich Ludwig van Beethovens Fidelio an. Auch Florestan ist so ein Einzelgänger, der sich damit begnügt, die Wahrheit zu sagen. Kein Wunder, wird er, da ohne Rückhalt im Volk, vom Tyrannen ganz simpel eingekerkert. Damit setzt der Sozialkitsch erst richtig ein. Florestans Weib setzt sich in den Kopf, ihn im Kerker aufzusuchen. Will sie ihn befreien? Will sie zusammen mit ihm sterben? – Es wird nicht klar. Ihr Motiv ist auch unklar: Mich stärkt die Pflicht der treuen Gattenliebe, meint sie lakonisch. Das ist zugleich so romantisch und so konservativ, wie man sich nur vorstellen kann. Wir sehen jedenfalls zu, wie Don Pizarro, der Tyrann, völlig durchdreht und Florestan, dessen aufrührerische Gedanken ihn offenbar persönlich betrafen und beleidigten, eigenhändig umbringen will. Dass Florestan gerettet wird, verdankt er einem Deus ex machina, dem königlichen Minister Don Fernando, der das Gefängnis inspiziert, in dem Florestan dahin vegetiert. Nämlich: Don Pizarro ist nur ein kleiner, lokaler Tyrann (Gouverneur eines Staatsgefängnisses, ein wahrhaft kleines Würstchen also) – der König, und damit auch sein Minister sind natürlich sehr nette Menschen, die Don Pizarros Taten keineswegs gutheissen. Die Obrigkeitskritik wird abgewandelt in Kritik an den Exzessen eines Subalternbeamten.
Das Libretto also, wie meist bei Opern, nicht sehr berauschend. Anders dagegen Beethovens Musik. Lyrische Passagen wechseln ab mit hochdramatischen. Im ersten Akt das wunderbare Quartett (das bei der gestrigen Aufführung unbeklatscht am Publikum vorbeiging – womit sowohl den Sängern wie Beethoven Unrecht getan wurde). Dann die ganz grossen Arien Don Pizarros, Florestans und Leonore-Fidelios.
Gesehen und gehört habe ich eine Aufführung des Zürcher Opernhauses. Das Bühnenbild war ein in grau gehaltener Kubus, auf den von Zeit zu Zeit die originalen Regie- und Bühnenanweisungen projiziert wurden. Mit diesem Kubus sollte die Aktualität des Stoffs betont werden, und jedenfalls hat er uns weiteren Sozialkitsch in Form romantisierter Gefängnisse erspart. Die Sänger, allen voran Florestan und Leonore, waren in Form. Die beiden Baritone (Don Fernando und Don Pizarro) und der Bass waren in Ordnung, ohne dass sie mich vom Hocker gerissen hätten. Das Orchester präzise und spielfreudig wie immer.
Fidelio. Oper in zwei Aufzügen. Libretto von Joseph Ferdinand Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke
Musikalische Leitung: Simone Young
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühnenbild: Henrik Ahr
Kostüme: Barbara Drosihn
Lichtgestaltung: Franck Evin
Video: Alexander du Prel
Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger
Dramaturgie: Werner Hintze
Don Fernando: Oliver Widmer
Don Pizarro: Martin Gantner
Florestan: Klaus Florian Vogt
Leonore: Elza van den Heever
Rocco: Christof Fischesser
Marzelline: Mélissa Petit
Jaquino: Spencer Lang
Erster Gefangener: Jonathan Abernethy
Zweiter Gefangener: Alexander Kiechle
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Zusatzchor der Oper Zürich
SoprAlti der Oper Zürich