Ebenso wie bei The Martian Chronicles von 1950 handelt es sich auch bei Ray Bradburys The Illustrated Man von 1951 um eine Sammlung schon früher in Zeitschriften wie Weird Tales veröffentlichter Kurzgeschichten. Wie beim ein Jahr früher erschienen Buch The Martian Chronicles hängen auch bei The Illustrated Man die Geschichten nur locker zusammen. Ist es beim älteren Buch das Thema ‚Mars‘, das alle Geschichten verbindet, so ist es beim jüngeren eine Rahmenerzählung, in der ein Ich-Erzähler auf einen ehemaligen Jahrmarkts-Schausteller trifft, der von Kopf bis Fuss tätowiert ist (an und für sich schon zu Beginn der 1950er Jahre eine Merkwürdigkeit!). Diese Tätowierungen nun erzählen nachts, wenn der Schausteller schläft, jede eine Geschichte, die der Ich-Erzähler weitergibt. Alle sollen gemäss Schausteller eine Zukunft vorhersagen, aber diese Zukunftsvisionen widersprechen einander zum Teil.
Doch darauf kommt es nicht an. Bradbury wird – u.a. wegen des Illustrated Man – dem Genre der Science Fiction zugezählt. Aber alle seine Texte, auch die mit Zukunftsvisionen, enthalten zwar viel Fiction, aber kaum Science. Wissenschaft, ob Natur- oder Geisteswissenschaften, spielt nur eine Rolle als vorausgesetzte, aber nicht weiter erwähnenswerte Verursacherin der Eigenschaften, die einige der Gadgets haben. Im Zentrum von Bradburys Geschichten steht immer der Mensch. Der Horror kommt über den Menschen, weil er einiges in dieser Welt falsch einschätzt oder auch ganz einfach falsch macht. Und gerade deshalb können Bradburys Geschichten auch noch weit über ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung gelesen werden – ebenso wie Poes Horrorgeschichten noch heute gelesen werden können und noch heute ihren Horror entfalten.
Dass es sich im Übrigen sowohl bei The Martian Chronicles wie bei The Illustrated Man eher um eine lose Sammlung von Kurzgeschichten handelt, als um einen stringent komponierten Roman (die Bezeichnung Roman in Erzählungen, die Wikipedia für die Chroniken des Mars verwendet, ist in sich völliger Unsinn), zeigt schon die Tatsache, dass z.B. bereits 1951 der Inhalt der ersten US-amerikanischen Ausgabe des Illustrated Man von dem der ein Jahr später erfolgenden britischen Ausgabe differiert. Und später wurden offenbar noch weiter Geschichten hinzugefügt oder welche weggelassen. So kommt es, dass die Inhaltsangabe von The Illustrated Man, die in der deutschsprachigen Wikipedia zu finden sind, mit den von mir gelesenen britischen Ausgabe von 2017 (mit einem Vorwort von Margeret Atwood, das man aber vernachlässigen kann) nicht übereinstimmt. Wikipedia gibt aber bei der Zusammenfassung der Sammlung keinen diesbezüglichen Hinweis.
Am Auffallendsten ist, dass meinen Ausgaben sowohl in den Martian Chronicles wie im Illustrated Man die Geschichte Usher II steht – jene Geschichte des Mannes, der vor der Verbrennung aller Bücher mit fiktivem Inhalt, vor allem aber Horrorgeschichten, auf den Mars flieht. Dort baut er Poes House of Usher originalgetreu nach, integriert aber andere Horrorgeschichten Poes, z.B. The Pit and the Pendulum. Das Ganze ist eine Rachephantasie eines alten Mannes; der Hintergrund aber ist sehr real, entstand die Kurzgeschichte doch in der McCarthy-Ära, in der Schnüffeleien und Anklagen gegen Andersdenkende (theoretisch auch Faschisten, praktisch vor allem Kommunisten) an der Tagesordnung waren.
(Die USA – man verzeihe mir diesen Exkurs – waren im Laufe ihrer Geschichte selten oder nie jener Hort von Menschenrechten und Demokratie, als den sie sich selber immer wieder gerne in Szene setzen. Wenn wieder ein Menschenrecht oder eine demokratische Errungenschaft durchgesetzt werden konnten, dann nur nach grossen, meist mit Blutvergiessen geführten Kämpfen. Und eine Zensur des geschriebenen Wortes gibt es heute der Tendenz nach immer noch. Auf der einen Seite ist da der Kampf gegen die Presse- und Meinungsfreiheit, der sich in der Bildung eines Begriffs wie ‚Lügenpresse‘ manifestiert; auf der andern Seite finden wir eine Zensur ‚böser Wörter‘ – und damit eine Verfälschung der Geschichte –, die u.a. Twains Gebrauch des Wortes ‚Nigger‘ aus seinen Jugendbüchern ausmerzen will oder Bücher solcher Wörter wegen aus den Schulbibliotheken entfernt. Diese den Kindern gegenüber überprotektionistische Haltung schwappt unterdessen auch auf Europa über, wo ähnliche Bestrebungen für Astrid Lindgrens Kinderbücher existieren. Dass man damit weder die Kinder vor rassistischen Gedanken schützt, noch einer Entwicklung ebensolcher Gedanken vorbeugen kann, ja sogar die Eltern aus ihrer erzieherischen Pflicht entlässt, will man dabei nicht wahrhaben. Ende des Exkurses.)
The Illustrated Man: Feiner Horror, kaum Science Fiction. Aber immer noch lesenswert. Und immer noch (Gedanken) aufrührend.