Andreas Bartels: Grundprobleme der modernen Naturphilosophie

Grundsätzlich halte ich es für eine glänzende Idee, wissenschaftliche Erkenntnisse dem Philosophen nahezubringen. Denn Philosophie ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund ist zumeist verstiegen, weltfremd und ohne Relevanz für Denken und Leben.

Ein Mathematiker, Physiker und Philosoph wie Bartels scheint für diese Aufgabe glänzend geeignet: Aber dieses Unternehmen ist leider weitgehend misslungen. Weder versteht es der Autor, naturwissenschaftliche Inhalte in dieser Kürze verständlich darzustellen (die einzelnen Kapitel umfassen knapp 30 Seiten), noch vermag er aufzuzeigen, warum diese Erkenntnisse für die Philosophie von großer Bedeutung sind. Einzig die Einleitung, in der Bartels die Wichtigkeit der Naturwissenschaften für unsere Kultur aufzuzeigen sucht, ihre Bedeutung für unser Selbstverständnis, ist gelungen (und auch inhaltlich ist diesen Ausführungen zuzustimmen).

Der Rest ist ein höchst mühsames Unterfangen. Natürlich, weder lassen sich Quantenphysik noch Relativitätstheorie, das Prinzip der Reduktion noch die Chaostheorie oder thermodynamische Probleme auf so wenigen Seiten umfassend beschreiben: Allerdings findet dieses Buch keinen Mittelweg zwischen Komplexität der Thematik und Klarheit der Darstellung. Es bleibt unklar, an wen sich das Buch richtet: Studenten sind ohne Vorbildung mit Sicherheit überfordert, anderen wird wenig Neues berichtet und der „gebildete Laie“, an den sich solche Zusammenfassungen häufig zu richten pflegen, dürfte weder die nötige philosophische oder naturwissenschaftliche Kenntnis mitbringen. Denn vermittelt wird in diesem Buch einzig, dass der Autor mit den physikalischen und mathematischen Problemstellungen vertraut ist.

Paradigmatisch seine Darstellung der Raum-Zeit-Problematik, die aufgrund der Einsteinschen Relativitätstheorie eine Neubewertung erfahren hat: Nach einer kurzen geschichtlichen Einführung (lesbar) in die Problematik, wird das „Loch-Argument“ (von Earman und Norton) angeführt (ohne weitere Erklärung); anschließend fährt der Autor wie folgt fort: „Eine moderne Raum-Zeit-Theorie wie die ART [allg. Relativitätstheorie] kann durch die Klasse ihrer Modelle charakterisiert werden. Diese Modelle m=<M,O> bestehen aus einer Mannigfaltigkeit von Punkten M (Repräsentanten von physikalischen Raum-Zeit-Punkten) und verschiedenen, durch geometrische Begriffe beschriebenen mathematischen Objekten Oi (Tensoren), durch die Felder auf der physikalischen Raum-Zeit-Punktmenge dargestellt werden (z. B. das metrische Feld und Materiefelder).“ (Hervorhebung durch den Autor) Das Loch-Argument werde dann durch eine Transformation von m in m‘ überführt, Relationen, Geodäten bleiben erhalten. Usf. Mir ist – wie erwähnt, nicht klar, an wen sich derlei richtet: Der Physiker kann ohne Kenntnis von Leibniz und dessen zuvor kurz skizzierten Ausführungen damit nichts anfangen, für den Philosophen, der sich mit den physikalischen Problemen vertraut machen will, sind solche Beschreibungen unzureichend; ihm ist mit allgemein verständlichen Büchern, die keine zu großen mathematischen Anforderungen stellen, sehr viel besser gedient.*

Ob Quanten- und Chaostheorie, Fraktale oder sogar in der „Theorie des Geistes“: Überall stößt man auf dieselbe Schreibweise. Er erwähnt Dennett, Metzinger oder Churchland, aber demjenigen, der diese Autoren nie gelesen hat, werden deren Überlegungen völlig unklar bleiben. Einzig das letzte Kapitel über die „Natur als Gegenüber“ kann als allgemeinverständlich betrachtet werden, obschon er auch hier (sich häufig auf Lothar Schäfers „Bacon-Projekt“ beziehend) das Kunststück zuwege bringt, dessen sehr gut lesbares Buch zu verkomplizieren. So kann man nur jedem raten, entweder zu den Originalautoren zu greifen oder aber zu wesentlich längeren, dann aber auch verständlicheren Darstellungen. Der Konnex zur Philosophie (der in diesem Buch auch oft zu kurz kommt) sollte sich dann von selbst einstellen: „Reine“ Philosophen, allen naturwissenschaftlichen Überlegungen abhold und ihrer Metaphysik huldigend, werden solche Lektüre ohnehin vermeiden.


*) An anderer Stelle aber fühlt sich der Autor bemüßigt, den Begriff der Tautologie zu erklären. Diesen vorauszusetzen wäre kein großes Wagnis gewesen.


Andreas Bartels: Grundprobleme der modernen Naturphilosophie. Paderborn: Schöningh 1996.

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