Dörte Hansen: Altes Land

Wäre mir das Buch nicht empfohlen worden – ich hätte nie einen Blick hinein geworfen. Und auch bei Empfehlungen bin ich vorsichtig geworden, selbst solche aus dem engsten Familienkreis entpuppen sich manchmal als – vorsichtig ausgedrückt – zweifelhaft.

Dörte Hansen ist Journalistin und hat mit 50 ihr Erstlingswerk veröffentlicht: Auch das nicht unbedingt eine Empfehlung (und nein, ich habe selbstverständlich keine Vorurteile). Das „alte Land“ aus dem Buchtitel ist die Gegend um Hamburg, dort, wo man Platt spricht und oft seit unzähligen Generationen den gleichen Hof bewirtschaftet. Es ist die Geschichte von Hildegard von Kamcke, die dort nach dem Krieg als ungeliebter preußischer Flüchtling mit ihrer Tochter strandet, von Ida Eckhoff, der Hofbesitzerin, misstrauisch beäugt und schließlich gehasst. Denn Hildegard heiratet den Hoferben, was den gegenseitigen Hass noch befeuert und schließlich mit dem Selbstmord der Altbäurin endet. Aber Hildegard will höher hinaus, verlässt ihren Mann (und ihre inzwischen fast erwachsene Tochter Vera), um sich noch einmal – und diesmal standesgemäß (d. h. reich) – zu verheiraten. Noch eine Tochter kommt zur Welt – und schließlich auch die Enkelin Anna, die – von den Rückblenden abgesehen – neben Vera die Hauptfigur des Buches ist.

Vera studiert, wird Zahnärztin, aber bleibt auf dem Hof, der langsam verfällt. Sie passt nicht ins Dorf, wird scheel angesehen, sieht ihren Platz aber dennoch auf diesem Fleckchen Erde. Und sie pflegt ihren alternden Stiefvater, der aus dem Krieg mit „Gespenstern“ heimgekehrt ist, Gespenster, die ihn Nacht für Nacht verfolgen und keinen Schlaf finden lassen. Als Anna, ihre Nichte, von ihrem Schriftstellerfreund betrogen und verlassen wird, wird sie bei Vera vorstellig: Unter der Bedingung, den Hof zu renovieren, wird sie von der alternden Zahnärztin aufgenommen. Eine schwierige Beziehung beginnt: Die beiden eigenwilligen Frauen finden nur mühsam zu einem einigermaßen gedeihlichen Zusammenleben, einzig Annas kleiner Sohn Leon bildet eine Brücke zwischen den beiden.

Eigentlich ist die Geschichte eine Einladung zum Kitsch: Doch Hansen umschifft diese Klippe gekonnt, keine Sentimentalität, auch kein kitschiges Happy-End (obschon die beiden Frauen schließlich (im Maßen) zueinander finden), sondern eine wirklich gelungen Darstellung verschiedener Lebenswelten. Dazu die sarkastische Beschreibung alternativer und akademisch gebildeter Aussteiger aus der Stadt in ihren dümmlichen Träumen vom romantischen Landleben, witzig und pointiert, aber auch hier Klischees vermeidend und nicht in ein vereinfachendes Naturliebhaber-Bashing verfallend. Überhaupt sind alle Charaktere wirklich gelungen – ob schnöseliger Stadtbewohner mit Laktoseintoleranz oder alteingesessener Bauer, der mit seiner Engstirnigkeit schließlich alle Kinder vom Hof vertreibt. Ein wirklich geistreiches Lesevergnügen, amüsant, aber nicht platt und auch in seinen tragischen Passagen von großer Eindringlichkeit. Empfehlenswert.


Dörte Hansen: Altes Land. München: Knaus 2015.

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