Das hier vorliegende Buch verdient es in jeder Bibliothek zu stehen, die auch nur eine kleine Abteilung „Geschichte des Lebens“ besitzt. Es ist allerdings kein Fachbuch, sondern richtet sich an den „gebildeten Laien“ – und das in bester Weise. Kaum ein Aspekt der Evolution, der nicht berührt und auf verständliche Art dargestellt wird, wobei er sich mit den Kritikern der Evolutionstheorie nur am Rande auseinandersetzt (im Gegensatz zu Richard Dawkins, bei dem dieses Thema immer wieder auftaucht). So etwa findet er klare Worte zum Kreationismus: „Die Behauptungen der Kreationisten wurden so häufig und gründlich widerlegt, dass es nicht notwendig ist, das Thema hier noch einmal aufzugreifen“. Und auch wenn ich Dawkins Bücher zur Evolution für ausnehmend lesenswert halte, so ist die Vermeidung dieser – tatsächlich obsoleten – Kontroverse angenehm.
Mayr erörtert die unterschiedlichsten Varianten von Variation, Selektion und Mutation, beschreibt die Artenbildung, die sexuelle Selektion, die Vererbung von Merkmalen, die zufallsbedingte Kombination von Genen bei sexueller Fortpflanzung u. v. m. Dabei ist ihm daran gelegen, älteren Evolutionmodellen ihre Fehlerhaftigkeit nachzuweisen (etwa der Orthogenese, eine teleologisch interpretierte Variante der Evolutionstheorie) bzw. neueren Konzepten (etwa der Genselektion) eine Absage zu erteilen: Die Selektion wirke immer nur auf den Phänotyp, niemals auf den Genotyp (wenn ich mir dabei allerdings Dawkins Argumentation in Erinnerung rufe, so habe ich den Eindruck, dass es sich hier wenigsten in Teilen um einen bloßen Streit der Worte handelt). Gegen Ende wird auch die Entwicklung des Menschen abgehandelt, wobei diese Darstellung nicht mehr ganz aktuell sein dürfte: Die einzelnen Abstammungslinien werden mittlerweile anders gezeichnet als bei Mayr; allerdings ändern sich diese alle paar Jahre und die Auseinandersetzungen haben häufig etwas unangenehm Rechthaberisches.
Ich kenne kaum ein besseres und lesbareres Werk über Evolution, wobei der Hinweis auf dem Buchdeckel, dass es sich auch in der U-Bahn lesen ließe (womit wohl die Verständlichkeit unterstrichen werden soll) zum Glück so nicht stimmt. Denn Mayr vermeidet unnötige Vereinfachungen, sondern bemüht sich immer auch um eine fachlich fundierte Darstellung und fordert den Leser stets zum Mitdenken heraus. Sollte man jedenfalls gelesen haben.
Ernst Mayr: Das ist Evolution. München: Bertelsmann 2003.