Florian Fisch: Wissenschaftlich erwiesen

Florian Fisch will eine Lanze für einen verantwortungsvollen, wissensbasierten Journalismus brechen und demonstriert anhand einiger Beispiele, mit welchen Methoden eine seriöse Berichterstattung unterlaufen wird. Besonderes Augenmerk schenkt er dabei medizinischen bzw. Ernährungsstudien als auch den Leugnern des Klimawandels sowie der kleinen, aber immer noch einflussreichen Gruppe, die das HIV-Virus für eine Schimäre halten.

Dieses Anliegen ist unterstützenswert und gerade in Fakenews-Zeiten von großer Bedeutung. Dass das Buch trotzdem nicht wirklich überzeugen kann, liegt zum einen am Lektorat (das diesen Namen nicht verdient), zum anderen aber auch am Autor, der einerseits häufig mit sprachlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat (die ein gutes Lektorat allerdings hätte eliminieren müssen*) und in fachlicher Hinsicht manchmal überfordert scheint. So versucht er die Problematik der erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten mit dem Wahrheitsproblem zu erklären und führt zwei Namen an, die für die Frage nach dem Wahrheitsgehalt naturwissenschaftlicher Forschung zentral seien: Popper und Thomas Kuhn. Diese haben sich mit wahrheitstheoretischen Überlegungen aber bestenfalls am Rande beschäftigt (Popper hat Tarskis Wahrheitstheorie für seinen Begriff der „Wahrheitsähnlichkeit“ benützt, während Kuhn bestenfalls indirekt als Relativist bezeichnet werden kann), sondern mit der Methodologie der Forschung und dem Begriff des Fortschritts. Inwieweit Kuhn die Korrespondenztheorie der Wahrheit (in der Tarskischen Form der „Metaebenen“) überhaupt kritisiert hat (meines Wissens hat er sie stillschweigend vorausgesetzt), kann man kaum ausmachen, aber das stand auch nie im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Sondern immer nur die Frage der Methodologie, des Zustandekommens wissenschaftlichen Fortschritts (wenn denn überhaupt bei Kuhn von einem solchen gesprochen werden kann, einige Interpretationen des Paradigmenwechsels implizieren die Unmöglichkeit, von einem Fortschritt sprechen zu können).

Noch überraschender, denn Fisch hat in Biochemie promoviert, sind seine Ausführungen zur Evolutionstheorie, wobei er einen generellen Konsens unterstellt, dass die Gene das Ziel der natürlichen Selektion seien (Ernst Mayr würde, könnte er davon hören, angesichts solcher Aussagen seiner Grabesruhe verlustig gehen). Tatsächlich ist das in dieser Form Unsinn, denn die Selektion kann immer nur auf den Phänotyp wirken. Wobei Dawkins Haltung (auf die Fisch sich bezieht) in diesem Punkt weniger rigid war als diejenigen Zitate vermuten lassen, die allenthalben für eine solche „Genselektion“ angeführt werden. Es mutet jedenfalls eigenartig an, wenn ein Autor, der um eine möglichst objektive Darstellung wissenschaftlicher Sachverhalte bemüht ist, so nachlässig bei der Vermittlung philosophischer oder wissenschaftlicher Inhalte zu Werke geht.

Trotzdem sind die Bemühungen des Autors anzuerkennen, seine Beispiele (ein Kapitel widmet er dem Lyssenkoismus, der tatsächlich ein gutes Beispiel für eine ideologisch verordnete Wahrheit darstellt) sind treffend, die Schlussfolgerungen muten hingegen ein wenig hilflos an. Das liegt nun aber an der Sache an sich: Denn was anderes kann man empfehlen als sich an Argumente und Tatsachen zu halten, sich die Frage zu stellen, ob es tatsächlich gute Gründe gibt, einen weitgehend anerkannten wissenschaftlich Konsens (wie beim Klimawandel) als eine Art Verschwörung zu betrachten (im das Buch abschließenden Interview mit Stephan Levandowsky, einem Experimentalpsychologen, wird auf die enge Verbindung von abstrusen Ansichten und Verschwörungstheorien hingewiesen), auf mögliche Interessenskonflikte bei publizierten Forschungsergebnissen zu achten und ganz allgemein den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Das klingt ganz gut und vernünftig, bleibt aber bei all jenen, die ihre ganz persönliche Wahrheit zu bestätigen suchen, höchstwahrscheinlich wirkungslos. Denn diese Menschen haben an faktenbasierten Aussagen kein Interesse (und Wissenschaft hat für sie häufig eine Aura des Langweiligen und Trockenen), sondern verteidigen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ihre gefühlt Realität. Trotzdem bleiibt wohl nichts anderes als der sonntagspredigerhafte Aufruf an die Verantwortung des einzelnen, sich kritisch und faktenbasiert mit Informationen auseinanderzusetzen. Wobei es dann gerade wieder die Verschwörungstheoretiker sind, die sich selbst als ungemein kritisch und aufgeschlossen gerieren.

Eine Lösung dieses Problems scheint unmöglich. Und manchmal befinden sich Menschen bloß aus ideologischen Gründen auf der „richtigen“, weil faktenbasierten Seite: Etwa militante Umweltschützer, die am Klimawandel nur deshalb nicht zweifeln, weil er in ihre Weltsicht passt. Und die im gleichen Atemzug ihre unbändige Angst vor allen Wortverbindungen mit „Gen“ kundtun und derlei als des Teufels ansehen. So bleibt bloß die Hoffnung, dass sich gute und verantwortungsvolle Wissenschaft durchsetzt: Allerdings sehe ich keinen stichhaltigen Grund für diese Hoffnung (außer vielleicht der Tatsache, dass wir die menschliche Dummheit bisher immer noch überlebt haben). Ein zugegebenermaßen äußerst schwaches Argument: Weil – wie man seit Hume weiß – ein solcher Induktionsschluss nicht zulässig ist.


*) Sätze wie „Mehr zur Impfskepsis folgt im Kapitel 6 über die Motivation, vom Konsens abzuweichen“ oder „Im Dezember 2009 veröffentlichte Roche eine Aussage, wonach sie ‚die vollständigen Studienberichte auf einer passwortgeschützten Seite veröffentliche für Forschern und Ärzten, die legitime Analysen durchführen innerhalb von Tagen veröffentliche'“ (sic, sic …) sind leider Legion.


Florian Fisch: Wissenschaftlich erwiesen. Gütesiegel oder Etikettenschwindel? Weinheim: Wiley VCH Verlag 2016.

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