Paul Cézanne. Die Bilder seiner Ausstellung Paris 1907 besucht, betrachtet und beschrieben von Rainer Maria Rilke

Cézanne starb am 22. Oktober 1806 in Aix-en-Provence. Ziemlich genau ein Jahr später, vom 1. bis 20. Oktober 1807, fand in Paris eine Retrospektive zu seinen Ehren statt – 57 Bilder, von denen 56 in einem kleinen Katalog aufgeführt waren. Leider waren die Bilder im Katalog unkommentiert und trugen auch oft allgemein-generische Titel, die wiederholt wurden – Paysage, Nature morte etc. Zusammen mit dem Umstand, dass offenbar niemand auf die Idee kam, die Ausstellungsräume mit den Bildern zu fotografieren, führt das dazu, dass es heute schwierig ist, genau zu eruieren, welche Bilder damals ausgestellt wurden.

Nun gibt es einen, der die Ausstellung mehr als einmal besuchte, und darüber in Briefen nach Hause schrieb: Rainer Maria Rilke. Rilke hielt sich 1907 gerade in Paris auf und stiess mehr oder weniger zufällig auf die Ausstellung. Seine Beschreibungen plus die immerhin bekannten Original-Leihgeber erlauben es, so die Herausgeber des vorliegenden Buchs, die meisten Bilder mit einiger Sicherheit zu identifizieren. So soll das vorliegende Buch nach deren Intention auch so etwas werden wie ein kommentierter, nachträglich erstellter Katalog der Ausstellung von 1907.

Wir finden darin 31 Briefe Rilkes an seine damalige Frau, die Bildhauerin Clara (Rilke-)Westhoff und 2 Briefe an die Malerin Paula Modersohn-Becker. Es sind private Briefe. Rilke hatte keineswegs die Absicht, einen Kommentar zur Cézanne-Retrospektive zu schreiben. Rilke war weder Kunstkritiker noch Kunstwissenschafter, auch wenn wir seine Briefe als Kunstkritik lesen können. Wir finden in ihnen aber vor allem eine sehr persönliche Anverwandlung und Weitergabe der Bilder Cézannes; die ästhetischen Anschauungen, die Rilke bei der Beschreibung der Bilder entwickelt bzw. die sich in ihm entwickeln, sind mindestens so sehr Rilke wie Cézanne.

Ich picke aufs Geratewohl drei Dinge heraus. Da ist die Tatsache, dass Rilke kurz bevor er die Retrospektive besuchte, einen Band mit Reproduktionen von Gemälden van Goghs (damals noch praktisch alle im Besitz der Witwe seines Bruders) intensiv studiert hatte. Die Eindrücke, die ihm van Gogh machte, waren auch der Initialfunke zu den Eindrücken, die er beim Studium der Cézanne’schen Gemälde gewann. Immer wieder kommt er bei der Beschreibung Cézannes auf van Gogh zurück. ‚Studium‘ ist auch das richtige Wort: Diverse Male kehrte Rilke in die Ausstellung zurück; er blendete alle andern Besucher aus und versenkte sich in eine intensive Betrachtung der Bilder Cézannes. Einen einzigen Besucher hat er – und auch das ganz am Anfang seiner Beschäftigung mit Cézanne – wahrgenommen: Harry Graf Kessler. (Wo war der zu jener Zeit nicht anzutreffen?) Vor allem Cézannes Schwarz hatte es ihm angetan, und er schrieb immer wieder davon, dass Cézanne als einziger Maler Schwarz als Farbe einsetze und nicht als Abwesenheit von Farbe.

Rilke war 1907 emotional sehr aufgewühlt. Paris mit seinem intensiven Herbstregen wollte ihm – einmal mehr – so gar nicht gefallen. Aber die Eindrücke der Cézanne-Retrospektive sollten ihn für den Rest seines Lebens prägen. Und wie weit sie unsere heutige Cézanne-Rezeption (mit-)prägen, wage ich nicht zu entscheiden.


Paul Cézanne. Die Bilder seiner Ausstellung Paris 1907 besucht, betrachtet und beschrieben von Rainer Maria Rilke. 57 Gemälde und Aquarelle von Paul Cézanne und 33 Briefe von Rainer Maria Rilke. Rekonstruktion der Cézanne-Ausstellung im Grand Palais, zusammengestellt und eingeleitet von Bettina Kaufmann. Herausgegeben von Lothar Schirmer. München: Schirmer/Mosel, 2018. (Gelesen in der Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg: Frankfurt/M, Zürich, Wien, 2018)

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