Noch bin ich ja Mitglied der Pirckheimer-Gesellschaft. Und als solches habe ich vor ein paar Wochen nicht nur die neueste Nummer der Vereins-Zeitschrift erhalten (allerdings beschlossen, dass ich sie hier nicht mehr speziell vorstellen werde), sondern auch praktisch gleichzeitig das hier vorliegende Buch des Pirckheimers Harald Kretzschmar – als eine Art Bonus wohl.
Man wird es vielleicht anmassend finden, dass ich es hier ‚rezensiere‘, weil: Geschenkter Gaul und so…
Dennoch scheint mir das Buch einer kurzen Vorstellung wert. Dies weniger wegen des Inhalts als solchem. Kretzschmar ist, wie die ganze Pirckheimer-Gesellschaft, in der DDR verankert. 1931 zur Welt gekommen, fanden er und seine Familie sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone wieder. Harald studierte Grafik und Buchkunst in Leipzig, arbeitete danach freischaffend. Bekannt wurde er als Karikaturist für die DDR-Satirezeitschrift Eulenspiegel. Vor allem dieser seiner Tätigkeit verdankte er auch die Bekanntschaft mit den führenden Grafikern, Illustratoren oder Karikaturisten der DDR. Im Laufe der Jahre lernte er auch ein paar internationale Grössen kennen: Loriot, Mordillo, Ungerer, Searle. Daneben zwei oder drei Künstler, die anderweitig berühmt geworden sind, einige davon über die Grenzen der DDR hinaus: Gisela May, Wolf Biermann zum Beispiel.
Ich gebe also zu, dass mich der Inhalt als solcher nur mässig interessiert. Ich bin nicht in der DDR sozialisiert worden, nicht einmal in der BRD. Namen von Grafikern und Buchillustratoren nehme ich zur Kenntnis, vergesse sie aber so schnell wieder, wie ich sie zur Kenntnis genommen haben. Das disqualifiziert mich im Grunde genommen, ist zumindest eine schlechte Voraussetzung, um ein Buch über dieses Thema vorzustellen.
Weshalb ich es dennoch tue? Das liegt an der kompositorischen Grundstruktur, die ich ganz interessant finde. Kretzschmar schildert die Begegnungen mit den einzelnen Künstlern chronologisch, in der Reihenfolge, in der er sie kennen gelernt hat. Das ergibt eine recht unaufgeregte, nicht egozentrische Biografie, auch wenn ich ihm nicht abnehme, dass er als 13-Jähriger nicht an den Endsieg geglaubt haben will, von dem ihm ein Onkel 1944 vorschwadronierte. Eine Biografie, die deshalb so unaufdringlich ist, weil er ja nicht sich, sondern die andern Künstler in den Mittelpunkt einer jeden kleinen Skizze stellt. Da er jeweils auch Hintergrundinformationen zu ihnen liefert, die über den Moment des Bekanntwerdens bzw. der weiteren Bekanntschaft hinausgehen, erhalten wir zugleich Kurzbiografien einer ganzen Serie von Künstlern. Der Begriff ‚Skizze‘ ist übrigens wörtlich zu nehmen: Jeder und jede Vorgestellte (es hat, wenn auch wenige, Frauen darunter) wird nicht nur in Worten, sondern auch mit einer kleinen Karikatur porträtiert. Dazu kommt eine Sprache, die meist ein wenig ironisch von der eigenen Person sich distanziert. Mit den Porträtierten allerdings verfährt er behutsamer.
Wenn die Marginalien die Qualität dieses Buches hätten, hätte ich ihnen auch eine DDR-Lastigkeit verziehen. Denn anders als viele Autoren der Zeitschrift verklärt Kretzschmar die DDR nicht. Er klagt sie auch nicht an. Es war halt sein Leben.
Harald Kretzschmar: Stets erlebe ich das Falsche. Der alternative Künstlerreport. Berlin: Quintus, 2017.