Dies wird wohl das letzte Mal sein, dass ich hier über die Marginalien berichte. Nach dem Redaktionswechsel habe ich – in dubio pro reo – die anhaltende DDR-Lastigkeit, ja nostalgische Verklärung der DDR, der Tatsache zugeschrieben, dass die Frühjahrsnummer 228 noch (zumindest teilweise) von der alten Redaktion zu verantworten gewesen wäre. Jetzt, mit dem 229. Heft, wurde ich definitiv enttäuscht.
Natürlich gab es Änderungen. So zum Beispiel ein Vorwort des Chefredaktors (Vorab), in dem er kurz den Inhalt des Heftes zusammenfasst. Das ist nett, bringt aber dem Leser wenig. Und leider bringt auch der Inhalt wenig. Wenig Aktuelles, jedenfalls. Rückblicke auf dieses oder jenes, Nachrufe auf diesen oder jenen (lauter Männer, seltsamerweise), Geburtstagsreden (ebenfalls alles Männer, alle 65+), das meiste mit DDR-Bezug. Dazu ein kurzer Lebenslauf eines alten und unbekannten Frühhumanisten (Johannes Trithemius – ohne dass klar würde, warum man den Mann kennen sollte), eine Rezension eines Briefwechsels des Verlegers Ernst Rowohlt, in der typografischen Beilage nochmals ein kurzer satirischer Text desselben (Fingerzeige über Umgang mit Autoren), der ganz witzig ist; leider hat sich der Typograf ein bisschen allzu heftig ausgetobt, so dass der Lesespass durch das betont „Kunst“ sein Wollende des Layout verdorben wird. Noch am Interessantesten eine unter der Rubrik Fundsachen abgelegte kurze Notiz von Jens-Fietje Dwars, Das kleinste Marx-Denkmal der Welt (eine sich im Besitz des Autors befindliche, schon recht zerlesene Ausgabe der 2. Auflage – 1872 – von Karl Marx‘ Das Kapital. – Ich hatte bisher weder Zeit, noch Lust, noch Energie, um mich mit Marx‘ 200. Geburtstag auseinanderzusetzen.)
Per se ist ja eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR nicht anzuprangern. Dass sie meiner Meinung nach bei den Pirckheimern ein bisschen allzu wohlwollend ausfällt, mag man meinem persönlichen Geschmack zuschreiben; in gewissem Sinn bin ich auch nicht befugt, darüber zu urteilen, war ich doch weder je Bürger jener DDR, noch direkt Betroffener des Mauerfalls und des Zusammenschlusses der beiden deutschen Staaten. Und dass man in einem gewissen Alter seine Jugend und alles darum herum nostalgisch zu verklären beginnt, kann man schon bei den alten Griechen feststellen. Dass sich deshalb die ältere Generation der jüngeren überlegen fühlt, ebenfalls. Dass dieses Gefühl meist ungerechtfertigt ist, wollen die Senioren schon seit den alten Griechen nicht wahr haben…
Also alles kein Problem? Nicht ganz, jedenfalls für mich nicht. Wenn, wie in der letzten Nummer der Marginalien, eine Grabrede zu Selbstdarstellung verkommt, mit integriertem Bashing der BRD und des Kapitalismus – wiederum beides per se nicht anzuprangern, aber im Zusammenhang einer Grabrede einfach nur schlechter Geschmack –, zucke ich innerlich zusammen.
Wenn, wie in dieser Nummer, in einem Artikel, der die Bibliodiversität propagiert und die Kurt-Wolff-Stiftung vorstellt, der Autor meint, wenn er über schlechte Verlagsprodukte herzieht, auch gleich jene verunglimpfen zu müssen, die durch schlechte Bücher für die ganze Buchwelt verloren [sind], sie schauen lieber Fernsehserien, werden Craft-Bier-Fans oder geben sich Verschwörungstheorien hin, so scheint mir dahinter ein mindestens so krudes Weltbild zu stecken wie hinter dem der Verschwörungstheoretiker, nämlich jenes „Wir sind nur wenige, aber wir sind die Elite, weil wir wissen, was gut und richtig ist!“ Ich fühle mich aber auch höchstpersönlich, als Anhänger einer Bier-Diversität, wie sie sich in der Craft-Bier-Bewegung ausdrückt, angegriffen. Wäre nun dieser Artikel einfach einer in der Menge der Artikel dieser Ausgabe gewesen, hätte ich vielleicht fünf gerade sein lassen. Er wird aber mit genau dieser Passage im Klappentext zitiert; ich muss also davon ausgehen, dass er die Ansicht der ganzen Redaktion und pars pro toto der Pirckheimer-Gesellschaft vertritt.
Ich kann mich mit einem Verein, der solchen Thesen Raum gibt (oder sich eventuell gar damit identifiziert) meinerseits nicht identifizieren. Deshalb habe ich der Pirckheimer-Gesellschaft letzhin meinen Austritt mitgeteilt. Ich werde also 2019 die Marginalien nicht mehr erhalten. Das ist schade um die oft wirklich hübschen Grafiken, die den Mitgliedern jeweils beigelegt werden, aber die Freude über diese wiegt den Ärger über den Inhalt nicht mehr auf. Die Herbst- und die Winternummer 2018 der Zeitschrift, auf die ich noch Anrecht habe, werde ich – wenn nichts Aussergewöhnliches darin steht – hier nicht mehr vorstellen.
Vor ein paar Tagen ist Heft N° 230 eingetroffen. Es hat mich in meinem Entscheid, diese Zeitschrift hier nicht mehr zu besprechen bestätigt, ebenso in meinem Entscheid, aus der Pirckheimer-Gesellschaft auszutreten. Obwohl um ein weniges weniger DDR-lastig als andere Nummern, ist für meinen Geschmack doch immer noch zu viel davon drin. Auch habe ich schon ein paar Mal erlebt, dass der „DDR-Gehalt“ der Nummern schwankt, aber nach einer Nummer mit weniger DDR folgte leider immer eine nächste mit sehr viel DDR.