Eckhard Keßler: Die Philosophie der Renaissance. Das 15. Jahrhundert.

Keßlers Buch über die Philosophie der Renaissance beschränkt sich auf Italien: Nach einer Analyse des Humanismus in Italien werden in weiteren Kapiteln der Florentiner Neuplatonismus und der Paduaner Aristotelismus des 15. Jahrhunderts abgehandelt. Schon diese Überschriften machen klar: Dies ist kein Buch für den Hobbyphilosophen, sondern wendet sich an ein Fachpublikum.

Es ist eine Zeit des Umbruchs: Die prekäre Lage in Konstantinopel (bzw. die Eroberung von 1453) führt des Griechischen kundige Philosophen nach Italien, schon zuvor erwächst der Scholastik und dessen Hauptphilosoph Aristoteles in den ersten Platon-Übersetzungen eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Und es kommt zu einer Renaissance der Rhetorik, zu einer teilweisen Neudefinition des Wahrheitsbegriffes, der nun nicht mehr ausschließlich auf die Dialektik zurückgeführt wird (und seine Begründung durch die aristotelische Analytik erfährt), sondern auf seine Wirksamkeit hin geprüft wird, seine pragmatische Eignung unter Beweis stellen muss (bedingt durch einen Wechsel von der vita contemplativa zur vita activa, die sich auch in politischer Teilhabe äußert). Dabei wird Platon aus der Sicht der Neuplatonismus interpretiert, eine Sichtweise, die auch im Sinne des Christentums zu einer praktikablen Auslegung gelangt. Dabei kommt es auch immer wieder zu Bestrebungen, die beiden großen griechischen Philosophen in einem Konsens zu vereinen: Besonders Nicoletto Vernia war es um einen solchen Konsens zu tun – natürlich immer auf dem Hintergrund des christlichen Denkens.

Allerdings wird die Bedeutung des christlichen Denkens in diesem Buch ein wenig vernachlässigt (oder vielleicht für schlicht selbstverständlich angesehen): Viele Fragestellungen (oder etwa der oben erwähnte Versuch eines Konsenses) sind nur auf diesem Hintergrund zu verstehen. So etwa die Ausführungen des Agostino Nifo und seines Gegenspielers Pietro Pomponazzi: Nifo ist eigentlich ein Anhänger der averroistischen “Einheit des Intellekts” (die von Averroes auf der Grundlage von Aristoteles’ “De anima” entwickelt wurde). Das Hauptproblem dieser Anschauung liegt in der Verneinung der individuellen Seele und der daraus folgenden Konsequenz: Ohne eine individuelle Seele kein Leben nach dem Tode, keine buchhalterische Abrechnung am Jüngsten Tag, wodurch einer der Grundpfeiler christlichen Denkens ins Wanken käme (denn Menschen, denen ihres Verhalten wegens nicht permanent die Hölle droht, können im christlichen Sinne nur noch ein verworfenes und sündhaftes Leben führen). Nifo versucht – ähnlich wie sein Lehrer Vernia – die widerstreitenden Ansichten zu integrieren (und kommt nebenher zu einer Form der Konsenstheorie der Wahrheit): Während die Averroisten dem Menschen einen intellectus possibilis zugestanden hatten (eine Art passiver Container zu Aufnahme geistiger Erkenntnis), blieb der intellectus agens dem Einheitsintellekt vorbehalten. Um diese Schwierigkeit zu umgehen bedient sich Nifo der Denkfigur von Partizipation und Vermittlung, die einen universalen und tätigen Intellekt annimmt (der mit Gott gleichzusetzen ist) und einen zweiten, individualisierten einführt, der – vom ersten erleuchtet – die intelligible Spezies und die Rezeption im möglichen Intellekt konstituiert. Als Zwischenglied wird noch ein weiterer intellectus agens benötigt, der als Instrument der Erleuchtung des zweiten durch den ersten dient und für erste, grundlegende Erkenntnisse (prima notio) verantwortlich zeichnet. Wozu das alles? Der erste Intellekt rettet sowohl platonische Ideen als auch den universalen Intellekt des Averroes, der zweite die Individualität des Menschen und die aristotelischen Ansichten. (In all dem verborgen spukt immer auch das Nominalismus-Realismus-Problem des Mittelalters nach, mit diesen verbunden ist wieder die Frage nach der Möglichkeit okkulter Wirkungen, die ebenfalls erörtert wird.)

Pomponazzi, Nifos Gegenspieler, wendet sich nicht nur gegen diesen Okkultismus zugunsten eines fast modern anmutenden Empirismus, sondern steht auch der Konzeption einer unsterblichen Seele skeptisch gegenüber (und hält die Beschreibung des Menschen als eines Mittelwesens zwischen absolutem Intellekt und rein materialer Existenz für keine Lösung, sondern eben nur für eine Darstellung des Problems): Er kommt schließlich der Position des spätantiken Aristoteles-Kommentators Alexander von Aphrodisias sehr nahe, der die Sterblichkeit (weil materielle Konsistenz) der menschlichen Seele für wahrscheinlich gehalten hat. – All diese – sehr interessant und klug dargestellten – Auseinandersetzungen sind nur auf der Basis christlicher Vorstellungen möglich und scheinen sich gerade deshalb zu diesen seltsamen, intellektuellen Turnübungen zu entwickeln. Dass diese geistigen Kapriolen aber nicht um ihrer selbst willen veranstaltet wurden mussten Männer wie Giordano Bruno oder Galileo Galilei später schmerzhaft erfahren. Interessant schiene eine Art von Gedankenspiel, dass diese Denker ohne den Druck der Kirche ihre Philosopheme entwickeln lässt: Wäre die Aufklärung 300 Jahre früher möglich gewesen, wäre ein Nifo dann ebenso auf diese vielstufigen Intellekt-Purzelbäume verfallen? Der immense Druck durch die katholische, später auch protestantische Kirche wird jedenfalls in den Philosophiegeschichten häufig stillschweigend übergangen, er wird als eine Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, sein Einfluss auf die Konstrukte aber nicht thematisiert. – Dennoch handelt es sich hier um ein ganz ausgezeichnetes und spannendes Buch, das aber – wie erwähnt – für “den gebildeten Laien” wohl nicht geeignet ist.


Eckhard Keßler: Die Philosophie der Renaissance. Das 15. Jahrhundert. München: Beck 2008.

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