Edward FitzGerald: Rubáiyát of Omar Khayyán

Es kommt wohl nicht so oft vor, dass man durch einen Kriminalroman auf einen persischen Lyriker aus dem aus dem 12. Jahrhundert u.Z. aufmerksam wird. Nun war Rex Stout ein sehr belesener Mann, und so bin ich durch seinen Nero-Wolfe-Krimi Der rote Stier (OT: Some buried Ceasar) auf Omar Chayyām, oder wie er im Englischen geschrieben wird, Omar Khayyán, gestossen.

Der Titel dieses Aperçu schreit gleich mehrfach nach Erklärungen. Beginnen wir mit Omar Chayyām. Er lebte von 1046 bis 1131 und ist im deutschen Sprachraum am ehesten als Mathematiker präsent, der die Lösung kubischer Gleichungen mit Ermittlung ihrer Wurzeln durch geometrische Darstellung fand. Ausserdem war er wahrscheinlich mitbeteiligt an der Erstellung eines neuen Sonnenkalenders, der genauer war, als selbst der 500 Jahre später erstellte gregorianische Kalender und mit Modifikationen bis heute in Iran verwendet wird. Daneben – sozusagen in seiner Freizeit – hat er gedichtet, kleine Vierzeiler, die sog. „Rubāʿīyāt“ (Singular: „Rubāʿī“ – auf Englisch Rubáiyát geschrieben). Rubāʿīyāt reimen sich nach dem Schema ‘a a b a’ oder auch nur ‘a a a a’. Meist bringt die dritte Zeile einen neuen Gedanken und die vierte eine Zusammenfassung. Es sind oft Gelegenheitsgedichte, und sie wurden denn manchmal auch lange nur mündlich tradiert. Thematisch sind sie meist eine Art persisches Gegenstück zur altgriechischen anakreontischen Lyrik, mit den Lieblingsthemen „Wein, Weib (d.i.: Sex!) und Gesang“. Omar, der sich als Dichter den Zunamen „Chayyām“ (d.i. „der Zeltmacher“) gab, verfasste ausschliesslich Rubāʿīyāt. Nicht alle der unter Omars Namen überlieferten Vierzeiler stammen von Omar selber; es gab so etwas wie eine Omarische Tradition – auch andere Dichter versteckten sich hinter dem persischen Mathematiker.

Jetzt kommt Edward FitzGerald (1809-1883) ins Spiel. FitzGerald hatte von seinen Eltern genug geerbt, um seinen privaten Interessen nachgehen zu können, ohne darauf angewiesen zu sein, mit einem Brotjob seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Er erhielt eine erstklassige Ausbildung, und konnte es sich leisten, den dort gefundenen Interessen nachzugehen. Unter anderem lernte er (Alt-)Persisch und stiess auf Omar Chayyāms Vierzeiler. Er begann – nein, nicht sie zu übersetzen – der Ausdruck „sich anverwandeln“ wäre wohl korrekter. Denn für einen Übersetzer nahm sich FitzGerald zu viele Freiheiten: Er änderte die Reihenfolge der Zeilen, ja verschmolz auch schon mal zwei oder drei Rubāʿīyāt in eines. Auch setzte er die im Original gänzlich von einander unabhängigen Vierzeiler in eine Art Zusammenhang, indem er sie – sehr locker, aber dennoch – den Tagesablauf des lyrischen Ich schildern liess. Last but not least kümmerte es ihn auch nicht, ob der Verfasser eines Vierzeilers nun wirklich Omar war oder nicht. Die erste Ausgabe von 1859 enthielt 75 Rubāʿīyāt und erschien als Privatdruck (wir würden heute von Self-Publishing sprechen) in einer Auflage von 200 Stück bei FitzGeralds Londoner Buchhändler. 40 Stück davon reservierte sich FitzGerald für private Verwendung, die restlichen durfte der Buchhändler verkaufen. Wie nicht anders zu erwarten, verkauften sich diese 160 Exemplare – gar nicht. Eines Tages legte sie der Buchhändler auf jenen Tisch vor seinem Ladenlokal, wo damals schon unverkäufliche Restexemplare landeten. Der Sage nach war es Swinburne, der zufällig vorbeikam und beim Stöbern auf eines dieser Exemplare stiess. Er trug es Gabriel Rossetti zu. Dieser war hell begeistert und entfachte eine entsprechende Begeisterung auch im Kreise der übrigen Präraffaeliten. William Morris stellte vier in Kalligraphie handgeschriebene Exemplare für Freunde her, und selbst Tennyson liess sich anstecken. Durch die Propaganda der Präraffaeliten wurde das Buch zu einer Art Verkaufsschlager, und Fitzgerald durfte noch zu Lebzeiten vier Auflagen erleben, die er dann zum Teil auch um weitere Rubāʿīyāt erweiterte, bis schliesslich die fünfte, postume Ausgabe deren 101 umfasste. Bis heute sind Omars Vierzeiler im englischen Sprachraum in der von FitzGerald geprägten Form präsent, werden neu aufgelegt, in Anthologien zitiert – oder eben in Kriminalromanen…

Was faszinierte die Präraffaeliten und FitzGerald überhaupt an Omars Vierzeilern? Da war zum einen der lockere und selbstverständliche Umgang mit Sexualiät, der die in ihrem verklemmten Zeitalter lebenden Viktorianer anzog. Da war dann der ausgesprochene Materialismus, den der Wissenschafter Omar auch in seine Lyrik einbrachte. Wie weit er selber in seiner Zeit und an seinem Ort, die gerade den Einbruch fanatisch-religiöser Herrscher aus dem Westen erlebte, Anstoss erregte, ist schwer zu sagen. Den Viktorianern jedenfalls war Omar auch ein Ventil, ähnliche Meinungen unter dem Deckmantel literaturgeschichtlicher Forschungen veröffentlichen zu können. Die Reaktion der Kritik liess denn auch nicht auf sich warten. Die Ausgabe in den Oxford World’s Classics, die ich gelesen habe, bringt auch die drei(!) zu Fitzgeralds Lebzeiten erschienen Kritiken zur ersten Auflage in ihrem Anhang. Durchs Band weg versuchen alle diese Kritiker, aus dem alten persischen Materialisten (und wohl auch Atheisten), der in seinen Gedichten einfach pure Freude am Leben ausdrückt, einen Gott Suchenden, ja einen verzweifelt Gott Suchenden, zu machen. Mit der altbewährten Methode des dreifachen Schriftsinns macht man aus der Schilderung sexueller oder alkoholischer Ekstase die symbolische Schilderung einer Vereinigung des Ich mit Gott. Mit andern Worten: man macht aus dem Materialisten einen Mystiker, einen Sufi. FitzGerald, zu dessen Lieblingsautoren Lukrez gehörte, hütete sich zu widersprechen. (Er hat sich ja lange Zeit nicht einmal als Autor bzw. Übersetzer der kleinen Sammlung geoutet.)

Heute kann man den Materialisten vielleicht ungehinderter geniessen. Ich jedenfalls tat es.

PS. Ich hatte in meinem Beitrag zu Rex Stouts Kriminalroman zugegeben, bei der Phrase Some Buried Caesar zuerst an Shakespeare gedacht zu haben. Ich konnte nun mit Genugtuung feststellen, das meine Vermutung gar nicht so abwegig war. Neben der Tatsache nämlich, dass FitzGerald ‘seinen’ Omar oft und gern latinisierte, d.h. mit römisch-lateinischen Begriffen übersetzte, die im Grunde genommen sowohl anachronistisch sind und wie geografisch fehl am Platz, steht die Tatsache, dass er sich in seinem Englisch tatsächlich an William Shakespeare orientierte.

XVIII // I sometimes think that never blows so red // The Rose as where some buried Caesar bled; // That every Hiyacinth the Garden wears // Dropt in its Lap from some once lovely Head.


Edward FitzGerald: Rubáiyát of Omar Khayyán. The Astronomer-Poet of Persia. Edited with an Introduction and Notes by Daniel Karlin. Oxford: Oxford University Press, 2010.

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Edward FitzGerald: Rubáiyát of Omar Khayyán. Facsimile of the British Library Add MS 37832. [Eine von vier von William Morris (Kalligraphie) und William Morris / Sir Edward Burne-Jones (Randverzierungen) erstellten handschriftlichen Kopien der ersten Auflage von 1859.] London: The Folio Society, 2018.

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