Andrew Hodges: Alan Turing, Enigma.

Diese von Andrew Hodges vorgelegte Biographie aus dem Jahr 1983 scheint das einzige, verfügbare Werk über das Leben von Alan Turing zu sein (außer einem Comic, den Erinnerungen der Mutter an ihren Sohn und der Erzählung von Rolf Hochhuth habe ich rein gar nichts gefunden). Und auch wenn der Autor recht penibel alle verfügbaren Quellen aufgearbeitet hat (wobei es über den privaten Turing nicht sehr viel gegeben haben dürfte), so lässt diese Lebensbeschreibung doch einiges zu wünschen übrig und kann nicht wirklich überzeugen.

Turings Traum war weniger der eines Computers, sondern einer Maschine, die dem menschlichen Denken ebenbürtig ist, die Geist – und möglicherweise auch Bewusstsein – in sich vereint. Er kann so als der Vorreiter der künstlichen Intelligenz gelten – und das zu einer Zeit, als solche Gedanken sowohl als technisch unrealisierbar als auch als anstößig erschienen: Wieder einmal – wie schon bei Darwin – erschienen die Verteidiger der menschlichen Einzigartigkeit auf dem Plan und sahen in diesem Vorhaben ein Sakrileg, einen Verstoß gegen göttliche Gebote*. Solches Denken war Turing fremd: Er war zutiefst davon überzeugt, dass die Zeit kommen würde und dass das menschliche Denken nicht nur simuliert, sondern auch übertroffen werden könne. Wobei diese Form der Konsequenz in den Überlegungen auch für Turings Privatleben bezeichnend war: Eine unbestechliche Integrität, die sich an Fakten orientiert und dies auch von allen anderen erwartet. Damit verbunden war allerdings auch eine gewissen Naivität, der Glaube, dass jedermann rationalen Argumenten zugängig sei und sein absolutes Unverständnis, wenn sich seine Umwelt nicht an diese offenkundige Einsicht hielt.

Und so waren Probleme in seinem Sozialleben von früh an vorprogrammiert: Ob in der Schule, der Universität oder später bei der Entschlüsselung der Enigma. Und es war für sein Denken charakteristisch, dass er sich auch an Vorgaben (oder einmal gemachte Zugeständnisse – etwa in Bezug auf die Geheimhaltung seiner Tätigkeit während des Zweiten Weltkrieges) mit großer Strenge hielt. Gerade diese Aufrichtigkeit sollte ihm – zumindest mittelbar – sein Leben kosten: Eine Affäre mit einem jungen Mann führte zu einem Einbruch in seine Wohnung (ein Bekannter des jungen Mannes hatte – unter der Annahme, dass Turing aufgrund der offenkundigen Verbindungen von Diebstahl und Beziehung die Tag nicht anzeigen würde, den Einbruch begangen), doch Turing war sich der Konsequenzen nicht bewusst (oder wollte sie sich nicht bewusst machen) und wendete sich an die Polizei. Diese interessierte sich schon bald sehr viel mehr für die (verbotene!) Affäre Turings zu dem noch nicht volljährigen Mann, über die er – naiverweise – bereitwillig Auskunft erteilte. Keine Kleinigkeit im England der 50er Jahre: Es kam zu einem Prozess und Turing konnte zwischen chemischer Kastration und einem einjährigen Gefängnisaufenhalt wählen.

Allerdings wird aus dem Darauffolgenden nicht wirklich klar, ob diese “Behandlung” ursächlich mit seinem Selbstmord in Zusammenhang stand: Eigentlich kann man kein wirkliches Motiv ausfindig machen (seine Mutter hielt den Selbstmord zeit ihres Lebens für einen “Unfall”, was aber die Umstände seines Todes als äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen). Es spricht wohl einiges dafür, dass sowohl die Medikamente als auch die erkannte Unmöglichkeit, seine Sexualität in einem Land mit den damals noch üblichen, rigiden Gesetzen zu leben, zu starken Stimmungsschwankungen geführt haben, die ihn zu dieser Tat veranlassten (sie scheint aber nicht von langer Hand geplant worden zu sein, auch wurden keine Abschiedsbriefe oder dergleichen gefunden). Betroffen macht hingegen noch heute die Darstellung der Ignoranz jener Zeit (die so lange nicht zurück liegt) und die erkennen lässt, welch zartes (und junges) Pflänzchen die Toleranz hinsichtlich der Homosexualität ist (und die entsprechenden Vorurteile sind noch lange nicht ausgerottet – gerade in Zeiten konservativ-nationalistischer Strömungen, die – wie in Österreich – das “Natürliche” in der Sexualität wieder zu entdecken meinen).

Turing ist eine tragische Gestalt, dessen soziale Fähigkeiten mit seiner theoretischen Intelligenz nicht mithalten konnte. Es war die Naivität der Aufrichtigkeit, die ihn so verletzlich machte, die irrige Annahme, dass auch seine Umwelt nach rationalen, einsichtigen Kriterien handeln würde. – All dies kann aus diesem Buch aber eher nur erschlossen werden, denn trotz aller Bemühungen des Autors wird Turing als Mensch nicht wirklich greifbar. Und auch die ausführlichen Darlegungen seiner Arbeit an der Enigma bzw. an der Automatic Computing Engine (ACE, nach dem Krieg) bleiben für Menschen ohne krypthographische (mathematisch-logische) Kenntnisse schwer verständlich (Simon Singhs “Geheime Botschaften” sind speziell für die Geschichte der Enigma sehr empfehlenswert, ohne dieses Buch hätte ich große Teile von Hodges’ Darstellung nicht nachvollziehen können). Dennoch gebührt dem Autor Lob: Denn Turings Leistungen sind außergewöhnlich und zukunftsweisend – und wert, gewürdigt zu werden. Aber auch sein Leben, sein Umgang mit der Homosexualität haben etwas Paradigmatisches, das noch heute von großem Interesse ist. Vielleicht unterzieht sich nach 35 Jahren wieder jemand der Mühe, eine neue, verbesserte Lebensbeschreibung vorzulegen. Von einem prospektiven Leser wüsste ich …


*) Seine bedeutendste Leistung ist die “Turingmaschine” bzw. seine Arbeit “On computable numbers”, die erstmals den Begriff der Berechenbarkeit anhand eines theoretischen Computers modellierte, wobei die Turingmaschine selbst als Programm dargestellt werden kann. Das kann hinwiederum durch eine andere (universelle) Maschine ausgeführt werden, die somit das Verhalten der ersten simulieren kann. Turing nahm dabei allgemeine Prinzipien vorweg (EVA-Prinzip), er stattete seine Maschine mit einem Schreib-Lesekopf und einem Speicher aus, die man mutatis mutandis auch in heutigen Computern findet.


Andrew Hodges: Alan Turing, Enigma. Berlin: Kammerer & Unverzagt 1989.

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