Eigentlich ist fast bösartig, ausgerechnet die wohl bekannteste Zeile aus Höltys Lyrik als Titel dieser Betrachtungen zu verwenden. Sie ist zwar typisch für ihn – und tut ihm dennoch Unrecht.
Ludwig Christoph Heinrich Hölty (geboren 1748, gestorben 1776 – also mit 28 Jahren) würde als Frühvollendeter gelten, wenn er heute überhaupt noch wahrgenommen würde. Doch in seinem Fall war sein früher Tod, literaturhistorisch gesehen, kontraproduktiv. Für die meisten beginnt die „moderne“ deutsche Literatur mit Goethe, Ausnahmen werden allenfalls für Lessing und Lichtenberg gemacht. Dabei war Hölty nur ein Jahr älter als Goethe, aber er hatte das Unglück, zum Kreis der Empfindsamen zu gehören, der dem Germanisten als der „Göttinger Hainbund“ bekannt ist. Diese Gruppierung, die irgendwo zwischen Sturm und Drang einerseits, Aufklärung andererseits, stand, wurde in der Folge vom eigentlichen Sturm und Drang beiseite gefegt.
Und wenn dann überhaupt von Hölty die Rede ist, dann von seiner Lyrik und dann folgt immer gleich diese im Titel zitierte Zeile aus seinem Gedicht Der alte Landmann an seinen Sohn. Zwar wissen heute die wenigsten, wer diese Zeile geschrieben hat, aber sie gilt als altväterisch, verzopft, nicht mehr zeitgemäss. Das ist sie auch, und ist insofern typisch für die Empfindsamkeit mit konservativer Moral, die auch in ihrer Lyrik auf dem Tablett präsentiert wird, parallel zu ihrem Bild der heilen Welt des Bauern und des Schäfers. Dabei war die Naturbegeisterung der Empfindsamen einmal modern, und der Sturm und Drang hat vieles davon übernommen. Selbst der mephistophelisch veranlagte Merck hat ja in diesem Ton gedichtet. Aber eben …
Doch Hölty ragte im Grunde genommen weit über die Empfindsamen hinaus. Er veröffentlichte – noch vor Bürger – die erste deutsche Kunstballade. Die deutsche Sprache stand ihm auch sonst zur Verfügung wie keinem Lyriker vor ihm. Seine Verse sind geschmeidig und wirken immer ungezwungen, selbst dort, wo der Leser nur staunt ob der Wendung, die Hölty zu nehmen weiss. Ich kenne Ähnliches nur vom Engländer Byron. Viele von Höltys Gedichten weisen bei allem empfindsamen Ton eine witzig-satirische Pointe auf. Man hat den Eindruck, Hölty nehme manchmal sich selber und die Empfindsamen nicht allzu ernst. Bei Höltys Oden kann ich nur zustimmend zitieren, was der Herausgeber meiner Ausgabe, Walter Hettche, im Nachwort schreibt: „Ausgehend vom Pathos der Oden Klopstocks entwickelt Hölty diese Gattung weiter zur Natur- und Stimmungslyrik der Empfindsamkeit, in der sich die vom großen Vorbild übernommenen Odenformen mit den neuen, >modernen< Inhalten verbinden.“ Hölderlins Oden sollten hier anknüpfen. Überhaupt ist Hölty von den dezidierten Klopstock-Jüngern des Hainbunds wohl der, der sich vom Einfluss dieses Vorbilds am meisten zu distanzieren wusste, auch die Hetze gegen Wieland kaum mitmachte. Und selbst ein Merck hat mehr Bardenlyrik im Klopstock’schen Stil geschrieben als der Hainbündler Hölty.
Last but not least sind da dann noch Gedichte wie dieses:
Maylied
Die Schwalbe fliegt, der Kuckuck ruft
In warmer, blauer Mayenluft;
Die gelb und weißen Blumen wehn,
Wie Gold und Silber, auf den Höhn:
Es schwimmen Thal und Busch, und Hain
Im Meer von goldnem Sonnenschein.
In seiner Anspruchslosigkeit und bildhafter Farbigkeit wird es nur von ein paar Gedichten Goethes erreicht – und später dann wieder von Mörike. Schade, kennt man von Hölty nur die Treu und Redlichkeit …
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