Unter diesem Titel hat drüben im Forum eine kleine Leserunde stattgefunden; unter diesem Titel ist auch die Übersetzung der Confessiones des Augustinus von Hippo erschienen, die ich gelesen habe. Sie erschien ohne Jahr bei Georg Müller in München, von der Aufmachung her habe ich schon immer auf den Beginn des 20. Jahrhunderts getippt – meine Recherche für diesen Beitrag ergibt nun das Jahr 1911. Als Übersetzer wird ein „J. E. Poritzky“ genannt, der mir unbekannt ist. Gemäss meinen Recherchen ist er mit dem Literaten Jakob Elias Poritzky identisch. Interessanterweise ist diese Übersetzung offenbar weder in deutschen noch in österreichischen Bibliotheken eingestellt. Ich befürchte, da hat der Nationalsozialismus den Juden, der sich traute, einen christlichen Heiligen zu übersetzen, radikal expurgiert. Habent sua fata libellis, und nicht immer sind es schöne Geschichten, die dahinterstehen, wie der Wikipedia-Artikel zu Poritzky zeigt. In der Schweiz hingegen stehen ungefähr 6 oder 7 Exemplare (darunter eines im Thomas-Mann-Archiv: Hat Mann die Bekenntnisse in dieser Ausgabe gelesen?).
Poritzky hat gemäss eigenen Aussagen versucht, eine auch für Laien lesbare Übersetzung zu erstellen. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf dem um und mit Gott ringenden Menschen Augustin, nicht auf dem Theologen und Philosophen. (Aus seinem Vorwort: „War doch gerade dieses Augustinische Gottsuchen und um Gott Kämpfen der tiefste Grund, der mich zu ihm hinzog und der mich auch bewegte, seine Bekenntnisse zu übersetzen. Der Leser, der „Meine Hölle“ kennt, wird verstehen und glauben, daß ich den Augustin nicht übertragen habe, „um eine Lücke der Übersetzungsliteratur auszufüllen“, sondern weil mich meine geistige Konstruktion zu ihm hindrängte und weil ich ihn infolgedessen nicht nur mit dem Kopf erfaßt habe, sondern auch mit dem Herzen.“) Da mag die eine oder andere philosophische Unschärfe hinein geraten sein; mangels lateinischem Original kann ich das nicht kontrollieren. Für meine Bedürfnisse genügt Poritzkys Übersetzung; ausserdem sieht der 100 Jahre alte Halblederband in meiner Bibliothek nicht übel aus.
Dass ich so viele Wort mache um (m)eine Überstzung, mag dem gewieften und geneigten Leser zeigen, dass ich mit dem Text so meine Probleme hatte. Es war für mich eine Zweitlektüre der Confessiones; die Erstlektüre war noch zu meinen Studienzeiten, und eigentlich hatte ich keine schlechten Erinnerungen daran. Aber siehe da: Das Ringen und Kämpfen, das offenbar auch mich als jungen Menschen angesprochen hatte, wohl, weil ich, wie jeder junge Mensch, auch um meine geistige Position zu kämpfen hatte, dieses Ringen und Kämpfen also, vom Übersetzer wahrscheinlich noch hervorgehoben – es stösst mich jetzt ab. Natürlich kann und muss ich, wenn ich von mir so weit abstrahiere, wie das nur geht, zugeben, dass Augustinus seinen Text sehr bewusst und sehr gekonnt verfasst hat. Seine Bekenntnisse gelten zwar als erste Autobiografie, sind aber dem Genre nur bedingt zuzuordnen – jedenfalls, wenn man „Autobiografie“ im heutigen Sinn versteht. Das In-sich-selber-Forschen und Nach-geheimsten-Motiven und Entwicklungen suchen, hat wohl erst jene andere christliche Strömung, der Pietismus, zur Geltung gebracht. Für Augustin ist sein Lebensweg nur exemplarisch – das Beispiel dafür, wie Gott auch harte und hartnäckige Sünder auf den Pfad des Heils führen kann. So endet die Geschichte dann auch mit Augustins endgültiger Bekehrung und schweigt sich über sein „Leben danach“ völlig aus.
Dafür hat der Intellektuelle und Kirchenlehrer auch in seine Autobiografie die eine oder andere philosophisch-theologische Überlegung eingebracht. Am bekanntesten sicher seine immer wieder zitierten Sätze zum Problem der Zeit: Was ist die Zeit? – Wenn man mich nicht fragt, weiss ich es; wenn man mich fragt, kann ich keine Antwort geben. Augustin entwickelt eine subjektive Zeittheorie: Das Subjekt ordnet die Ereignissen nach früher, jetzt und zukünftig; und das Subjekt bestimmt auch die „Länge“ der Zeit. Damit kehrt sich Augustin von der Lehre ab, die die Zeit objektiv bestimmte, anhand von Umlaufszeiten der Gestirne. Überhaupt sind bei Augustin ein paar Ansätze zu einer idealistischen Philosophie zu finden, die subjekt-bezogen argumentiert. Letztlich aber bricht er solche ihn offenbar beunruhigenden Überlegungen immer wieder ab und kehrt zurück zu Gott als letztem Grund der Dinge, in dem er sich beruhigt. Und Gottes Wort ist gesichert durch die Autorität der Kirche.
Hier sind denn auch die geschichtlich wichtigsten Punkte eines Augustin. Er ist einer der ersten, der die katholischen Glaubenssätze schriftlich fixiert, der der katholischen Kirche die Deutungshoheit auch in den Wissenschaften zuspricht. (Auch wenn er gleichzeitig den Arianern vorwirft, keine Ahnung von Wissenschaft zu haben und sie komplett zu missachten und zu missverstehen.) Auf Augustin geht auch vieles von der verhängnisvollen Trennung von Körper und Geist zurück, die bis heute nachwirkt. „Er“ (also sein Geist) hat beschlossen, nach der Konversion mit Sex aufzuhören. Nun lebt dieser sein Geist aber in einem sehr heissblütigen Körper, der sich dafür mit wolllüstigen Träumen und nächtlichen Pollutionen rächt. Doch das stört Augustinus nicht weiter, denn für diesen Körper ist „er“ nicht verantwortlich, der gehört nicht zu „ihm“. Ja.
In den letzten Kapiteln philosophiert Augustin dann nur noch. Er ist einer der ersten, der die Gedanken der Antike mit der der Kirche verglich, sie verwarf oder noch lieber sie anzupassen, einzuverleiben versuchte. Damit markiert er den Übergang von der Antike ins Mittelalter, den wir gemeinhin „Spätantike“ nennen. Augustin ist klug, und er weiss viel. Schon bald wird sein Einfluss gross. Seine Ansichten galten in der Scholastik praktisch als unangreifbar, und so ist es wohl bis heute in der katholischen Kirche geblieben. Die Confessiones zeigen diesen übermächtigen „Kirchenvater“ noch in Windeln – wörtlich wie philosophisch.
3 Replies to “„Die Bekenntnisse des heiligen Augustin“”