Eve-Marie Engels: Erkenntnis als Anpassung?

Eigentlich ein Buch, dessen Thematik ich großes Interesse entgegenbringe und das zu lesen ich mir schon lange vorgenommen hatte. Es ist die leicht abgeänderte Version der Habilitationsschrift von Engels, im Untertitel als eine „Studie zur Evolutionären Erkenntnistheorie (EE)“ bezeichnet.

Aber die Enttäuschung war groß. Zum einen ist da der Fußnotenwahnsinn, der sich in diesem Buch Bahn bricht. Ein Viertel des Umfanges wird für diese Fuß- (besser End-) noten verwendet, was einen vernünftigen Lesefluss unmöglich macht. Ich bin mir nun durchaus der Gepflogenheiten wissenschaftlicher Arbeiten an Universitäten bewusst: Nichtsdestoweniger halte ich diese Form der „Verwissenschaftlichung“ von Arbeiten für kontraproduktiv und einer gedanklichen Nachlässigkeit geschuldet. Fuß- oder Endnoten sollen Zitate belegen, können – als kleine, ergänzende und informative – Exkurse dienen. Wenn aber der Umfang wie im vorliegenden Fall derart exzessiv ausfällt, dann wäre es die Pflicht des Autors (der Autorin) gewesen, die als so wichtig empfundenen Teile in den Text zu integrieren. Dazu kommt noch, dass – vor allem im ersten Teil – auf fast jeder Seite lange Originalzitate (in englischer Sprache) zu finden sind, Zitate, deren Aussagen im Text dann hinwiederum ausführlich be- und umschrieben werden.*

Zudem ist dieser erste Teil (in dem der Frage nachgegangen wird, inwieweit Charles Darwin die Ansätze der EE bereits vorweggenommen hat) in seiner Ausführlichkeit ein Unding: Ja, Darwins Überlegungen sind dazu angetan, ihn als einen Vorreiter der EE zu betrachten. Aber mit diesen Belegen über 100 Seiten zu füllen ist für eine Studie, die sich der Problematik der EE widmet, vollkommen überflüssig. Denn Darwins Gedanken zu diesem Bereich (der „geistigen“ Evolution) fügen der EE nichts Substantielles hinzu, es bleibt schlicht die Feststellung, dass er solche Überlegungen angestellt hat.

Und auch der Rest des Buches ist in Bezug auf die EE wenig erhellend: Engels wiederholt mit ermüdender Ausdauer all jene Kritikpunkte, die Gerhard Vollmer in den beiden Bänden „Was können wir wissen? I, II, 1985, 1986“ ausführlich und klar beantwortet hat. Zum Beispiel beim Zirkularitätsvorwurf, den Engels in aller Ausführlichkeit (und mit zahlreichen Zitaten) wieder aufgreift, die Begrifflichkeiten überprüft, um dann zu dem wenig überraschenden Schluss zu kommen, dass ein solcher Vorwurf in Bezug auf die Evolutionstheorie (oder die EE) nicht gerechtfertigt ist (diese Diskussion wurde schon von Popper angestoßen, der seine Kritik später zurückgezogen hat; auch Vollmer geht in den beiden erwähnten Bänden ausführlich darauf ein). Jedenfalls liest man bei Engels nichts, was nicht schon zuvor abgehandelt wurde; die scheinbar penible Behandlung dieses Vorwurfs trägt nichts Neues zur Diskussion bei – im Gegenteil: Die Betonung der definitorischen Schwierigkeiten ist dazu angetan, die Problematik unnötig zu verkomplizieren.

Ich muss gestehen, dass ich im Verlaufe der Lektüre (und mit zunehmender Verärgerung aufgrund dieser Redundanzen) einige Kapitel nur noch sehr oberflächlich gelesen habe (bei einem Buch über die EE – abgesehen von den abstrusen Ausführungen Irrgangs – ein seltenes Ereignis). Es ist diese keine Studie, sondern eine Dokumentation all der gegen die EE erhobenen Kritikpunkte. Das wäre vielleicht noch lesenswert, wenn sich zu diesen Punkten neue Erkenntnisse ergeben würden. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt. Um im übrigen keinen falschen Eindruck zu erwecken: Engels ist grosso modo eine Befürworterin der EE und sie ist keinesfalls in eine Reihe zu stellen mit dem vorhin erwähnten Irrgang, der sich bemüßigt fühlte, seine metaphysisch-theologische Weltdeutung angesichts der Evolutionstheorie (oder der EE) irgendwie zu retten. Es ist gerade das Kuriose an zahlreichen Ausführungen Engels, dass sie – nach langen Umwegen – sich schließlich den Interpretation der EE anschließt oder aber bestenfalls darauf hinweist, dass diese oder jene Bemerkung eines Vertreters der EE missinterpretiert werden könnte. So ist diese Studie eine ermüdende Faktensammlung über die Kontroversen zur EE, bietet aber wenig oder kaum Neues.


*) Wie man derlei handhaben kann zeigt auf brilliante Art und Weise diese Habilitationsschrift. Deren Wissenschaftlichkeit hat unter dem Mangel an Fußnoten keineswegs gelitten – und der Anhang mit der ausführlichen, logischen Beweisführung ist ein Musterbeispiel an Klarheit.


Eve-Marie Engels: Erkenntnis als Anpassung? Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989.

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