Rex Stout: Zu viele Köche [Too many cooks]

Nero Wolfe verlässt sein Brownstone! Mit dem Nachtzug reist er nach Kanawha Spa. Einziger Begleiter: sein Amanuensis Archie Goodwin. (Der auch als Erzähler fungiert.) Natürlich gibt es triftige Gründe, wenn Wolfe seine Komfortzone verlässt. Hier ist es die Einladung, als Gastredner an der alle fünf Jahre stattfindenden Versammlung der Quinze Maîtres, der Vereinigung der weltbesten Küchenchefs, teilzunehmen, und über die Vorzüge der genuin US-amerikanischen Küche zu referieren. Eigentlich treffen sich ja nur zwölf, denn drei der Küchenchefs sind seit der letzten Versammlung gestorben. Und zwei können nicht kommen, bleiben zehn.

„Zehn“ und „Kriminalroman“ – das klingt ein wenig nach Agatha Christies Zehn kleinen Negerlein (die heute nicht mehr so heissen dürfen), aber selbst wenn Schwarze eine wichtige Rolle spielen: Es wird dann doch nur ein Chefkoch umgebracht – sinnigerweise mit einem Tranchiermesser. Wolfe, der sich eigentlich entspannen und gut essen wollte, sucht nach dem Mörder. Er tut dies vor allem, weil die nur langsam voran kommenden offiziellen Ermittlungen drohen, ihn länger als nötig im Kanawha Spa festzuhalten. Denn Wolfe ist keineswegs einer, der Detektiv-Arbeit leistet, weil er Detektiv-Arbeit als solche liebt. Für ihn liegt im Wort „Detektiv-Arbeit“ der Akzent eindeutig auf „Arbeit“ – und arbeiten will er nur so viel, dass er sein Brownstone behalten kann, seine Bibliothek und seine Orchideen-Züchtung. Und natürlich Fritz, seinen Privatkoch. Er untersucht den Mord also aus egoistischen Antrieben, was ihn nicht davon abhält vom hauptverdächtigen Chefkoch, den die Polizei zwischenzeitlich auch schon mal in Untersuchungshaft genommen hat, als Belohnung dafür, dass er ihn entlastet, das geheime Rezept für dessen Saucisse minuit zu verlangen. Man kann geradezu sagen: zu erpressen. (Überhaupt fällt auf, dass der Gourmet Wolfe im Grunde genommen einen recht simplen Geschmack hat. Nicht nur, dass er Würste für die Spitze gastronomischen Wirkens halten kann – worüber sich noch streiten liesse – er trinkt, wenn er nicht an offiziellen Essen teilnimmt, vorzugsweise Bier. Drei Flaschen sind seine übliche Ration zu einem Essen.)

Doch eigentlich steht nicht der Mord im Zentrum des Romans. Einmal mehr hat Rex Stout in Unterhaltungsliteratur (s)eine politische Botschaft versteckt. (Und es ist bezeichnend, dass in früheren Übersetzungen dieser zentrale Punkt gekürzt oder gar weggelassen wurde.) Nebst den mehr oder minder nationalistisch gefärbten Kabbeleien der Köche, v.a. dem Streit zwischen französischer und italienischer Küche (denen Wolfe die US-amerikanische entgegen hält), ist es der alltägliche Rassismus der USA, den Stout thematisiert. Wolfe kann den Fall nämlich nur lösen, wenn er die schwarzen Angestellen des Spa davon überzeugt, dass sie in einem Fall aussagen sollen, der eigentlich nur Weisse betrifft. Die Schwarzen (Stout nennt sie im Original „Negroes“, was 1938 – dem Jahr der Erstveröffentlichung – der politisch korrekte Ausdruck war) haben eine Jahrhunderte alte, man könnte fast sagen: instinktive, Abneigung dagegen, sich in Angelegenheiten zu mischen, die nur Weisse betreffen, weil sie gelernt haben, dass sie, die Schwarzen, dabei nur verlieren können.

Es gelingt ihm, die schwarzen Angestellten davon zu überzeugen, dass es etwas gibt, das über den Rassenproblemen steht: das „Vaterland“, die US-amerikanische Nation. Wolfe gibt im Verlaufe der Gespräche den Schwarzen gegenüber zu erkennen, dass er auch ihnen dankbar dafür ist, dass ihn die USA aufgenommen hat – Wolfe selber ist also kein geborener US-Bürger. Dem Hauptzeugen gegenüber aber, einem jungen Schwarzen, der im Spa als Kellner arbeitet, um sich sein Studium der Anthropologie an der Howard University in Washington D. C. zu finanzieren, argumentiert Wolfe, indem er den Schwarzen dort abholt, wo er steht – eine Taktik, die sich heute in jeder Management- oder Marketing-Theorie finden lässt. Das erste nämlich, was der junge Schwarze Wolfe an den Kopf wirft, ist der Satz: [Es ist] kindisch und frivol, wenn erwachsene Männer so ihre Zeit und ihr Talent vergeuden, ganz abgesehen von der Zeit anderer Leute. Wolfe erkennt das versteckte Zitat, das der Satz ist. (Was weiter kein Wunder ist, stammt er doch aus einem Werk eines Freundes von Stout.) Er kontert mit einer Aussage eines schwarzen Dichters: […] das Beste, was ein Opossum tun kann, ist einen leeren Magen zu füllen. Dadurch wird dem jungen Kellner der Wind aus den Segeln genommen, und endgültig überzeugt ihn dann die Tatsache, dass Wolfe nicht nur den alten französischen Gourmet Brillat-Savarin kennt und in seiner Rede zitiert, sondern auch den Lehrer seines Uni-Professors, Franz Boas, und dessen Bücher gelesen hat. So sind es hier – und das ist Stouts rhetorischer Trick – nicht ein Schwarzer und ein Weisser, die sich mit ihren Ansichten diametral gegenüber stehen, sondern zwei Intellektuelle, die unterschiedlicher Meinung sein mögen, aber versuchen, diese Unterschiede zu analysieren und zu rationalisieren. Was zumindest im Buch gelingt.

Man hat Wolfe-Stout im 21. Jahrhundert eine paternalistisch-herablassende Haltung gegenüber den Schwarzen vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist ernst zu nehmen. Zwar ist meiner Meinung nach vieles in Wolfes Haltung weniger einem Gefälle zwischen Schwarz und Weiss geschuldet, als dem Altersgefälle zwischen Wolfe und dem Kellner. Sowohl dem (offen rassistischen) Sheriff des Countys gegenüber, in dem der Mord geschah, wie gegenüber seinem (versteckt rassistischen) Gehilfen Goodwin gegenüber unterbindet er jede rassistische Äusserung. Es ist wohl so, dass in einem der Unterhaltung dienenden Kriminalroman ein so ernsthaftes Thema bestenfalls angeschnitten, aber keinesfalls erschöpfend behandelt werden kann. Dass er es überhaupt versucht, ist seine Stärke. Dass es nicht zu 100% gelingt, seine Schwäche. Dennoch kann ich diesen Roman nur empfehlen.


Rex Stout: Zu viele Köche. Aus dem amerikanischen Englisch von Simone Salitter und Gunter Blank. Mit einem Nachwort von Tobias Gohlis. Stuttgart: Klett-Cotta, 2017.

Den Hinweis darauf, dass ein weiterer Roman von Stout in einer Neuübersetzung bei Klett-Cotta erschienen ist, verdanke ich dem Beitrag von Bettina Schnerr auf Bleisatz, auf den ich als Ergänzung zum hier Gesagten verweisen möchte.

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