Georges Simenon: Das Rätsel der Maria Galanda

Offen gestanden, bin ich kein Fan von Georges Simenon. Und ich war nie ein Fan von Simenon. Selbst in jener Epoche, als ich Kriminalromane am Laufmeter verschlang, habe ich zwar den einen oder andern Maigret gelesen, aber – obwohl ich keineswegs US-amerikanische Hard Boiled oder Noirs las (bis heute nicht) – mir war Maigret immer einen Tick zu betulich. Zu sehr versuchten die Romane um Maigret, psychologische Umstände und Finessen auszuleuchten und darzustellen. Seine Fälle zogen sich daher für mich wie Kaugummi (den Maigret – selbstverständlich – nicht kannte). Noch schlimmer erging es mir mit dem einzigen Non-Maigret, den ich von Simenon gelesen habe. Wenn ich mich recht erinnere, war es die Geschichte eines Chefarztes, der sich in seinem Leben tödlich langweilte, was ihn nicht daran hinderte, sämtliche Schwestern seiner Abteilung flach zu legen, Sekretärinnen inklusive. Die detaillierten Schilderungen der psychischen Verfassung des Arztes liessen mich einigermassen ratlos zurück, die Darstellung der Liebesspiele ebenso. Simenon hätte, was mich betraf, gerade so gut Psyche und Sex des Mannes im Mond beschreiben können, so seltsam kam mir dieser Arzt vor.

Deshalb konnte ich, als vor einem oder zwei Jahren der Diogenes-Verlag die Publikation der deutschen Übersetzungen der Romane um Commissaire Maigret plötzlich einstellte, die Sache gelassen nehmen. Als dann der ehemalige Diogenes-Mitarbeiter Daniel Kampa die Gründung eines eigenen Verlags ankündigte, verbunden mit der weiteren Ankündigung, dass nun in kürzester Zeit sämtliche (sämtliche!) Romane Simenons – also auch die Non-Maigrets – in neuer Übersetzung bei ihm erscheinen würden, blieb ich ebenso gelassen. Höchstens, dass ich wieder einmal den Kopf schüttelte über jene Autoren-Erben, die offenbar den Hals nicht voll kriegen können. (Dass in der Frist von zwei oder drei Jahren, die Kampa sich und seinem Verlag für die Neuübersetzungen gibt, keine Meisterwerke entstehen können, ist wohl klar. Aber dann ist Simenons Sprache auch nicht eine, die bei jedem zweiten Wort danach verlangt, dass eine diffizile Entscheidung getroffen werden muss. Simenon schreibt flüssige Alltagssprache, ohne vulgär zu werden. So etwas übersetzt sich relativ rasch.)

Ich hatte auch nicht die Absicht, mir die neuen Übersetzungen anzuschauen. Als ich dann allerdings in der Buchhandlung meines Vertrauens zufällig in der Krimi-Ecke ein paar der ziegelroten Buchrücken sah, die die neue Reihe auszeichnen, habe ich doch ein Buch mitlaufen lassen. Das Rätsel der Maria Galanda ist zwar ein Krimi (genauer gesagt, beinhaltet der Band vier Kriminalkurzgeschichten), aber dennoch ein Non-Maigret.

Ermittelnder Detektiv in den vier Kurzgeschichten ist nämlich ein Kommissar, den alle nur G7 nennen. Damit ist nicht der Zusammenschluss der bedeutendsten Industrienationen der Welt gemeint (den gab es zur Zeit von diesem G7 hier, den 1920ern und 1930ern, noch gar nicht); der Name des Kommissars ist ein Anspielung auf eine 1905 gegründete Pariser Taxi-Gesellschaft, deren Wagen zur Zeit von Kommissar G7 gemäss Nachwort rot lackierte Dächer hatten (im Internet finde ich auf die Schnelle nur ein Bild eines Taxi der G7, eines Renault KZ von 1923 mit rot lackierten Flanken). G7’s Haare sollen von derselben roten Farbe sein (was bei Haaren ein einigermassen seltsamer Farbton wäre). Im Übrigen ist G7 – für jene Zeit ungewöhnlich, wie der Erzähler festhält – selber Besitzer eines Automobils, eines Citroën 5CV Torpedo. Das ist ein Zweisitzer, mit nur einer Tür, auf der Beifahrerseite (auf der Fahrerseite ist dort das Reseverad montiert), und im Falle des Fahrzeugs von G7 ohne Verdeck. (So lernen wir G7 im vorliegenden Buch auf der Fahrt in die Provinz kennen, im strömenden Regen und somit völlig durchnässt. – Es gab Zeiten, da war Autofahren ein Abenteuer…)

In der Ich-Form erzählt werden G7’s Fälle von seinem Begleiter an den Tatort, einem jungen Journalisten namens Georges Sim, ein Name, der bei der Erstveröffentlichung auch auf dem Buchdeckel stehen würde. Diese Konstellation erinnert an Simenons Vorbild, den Journalisten Rouletabille von Gaston Leroux. (Nur, dass bei Leroux der junge Journalist Rouletabille selber ermittelt.) G7 ist ein seltsamer Kerl. Eigentlich sitzt er, wenn er einmal vor Ort ist, nur da. Nicht einmal nachzudenken scheint er. Irgendwann, aus heiterem Himmel, kommt er mit der Lösung des Falls. Wie er zu dieser Lösung gelangt ist, wird kaum erklärt. So weiss der Leser zwar zum Schluss jeder Geschichte, wer der Mörder war, aber nicht, wie ihm der Kommissar auf die Schliche gekommen ist. Dort, wo G7 verrät, was ihn auf die Spur des Täters führte, ist die – wie in jedem Kriminalroman äusserst komplexe und im Grunde genommen absurde – Mord-Methode schamlos bei Sherlock Holmes abgekupfert. Daniel Kampa in seinem Nachwort gibt verschiedene Gründe, warum Maigret, und nicht G7 zum führenden, ja einzigen Detektiv Simenons geworden ist. Einen vergisst er: Dass dieser Detektiv mit seinen plötzlichen Lösungen den durchschnittlichen Leser von Kriminalromanen im Grunde genommen im Regen stehen lässt, da man als Leser keine Chance hat, mit dem Ich-Erzähler Georges Sim mitzurätseln. Der seinerseits rätselt übrigens gar nicht mit; er bleibt passiv neben G7 sitzen und wundert sich nur über Gott und die Welt. Daneben stellt er in bester Simenon-Manier psychologische Überlegungen über G7 bzw. das Verhältnis zwischen sich und ihm, ihm und sich, an – Überlegungen, die eigentlich nur Kopfschütteln hervorrufen dürften. Wenn wir noch dazu nehmen, dass G7 in einem Fall Beihilfe leistet zu einem Versicherungsbetrug und dass er sich schamlos in die Tochter eines Mordopfers verliebt, so sehen wir, dass der Charakter von G7 allzu kompliziert und voller Stolperfallen aufgebaut wurde. Mit dieser Figur konnte Simenon schon aus Gründen einer literarisch-kriminalromantechnischen Konsequenz nicht weiterfahren. Eine Sackgasse, die nicht weiter gepflegt wurde. Somit haben wir hier eine Rarität vor uns, eine Rarität, die zur Kenntnis genommen zu haben, mich zwar nicht reut, aber:

Ich werde auch in Zukunft nicht zu einem Fan von Georges Simenon mutieren.


Georges Simenon: Das Rätsel der Maria Galanda. Vier Fälle für Kommissar G7. Aus dem Französischen von Kristian Wachinger. Mit einem Nachwort von Daniel Kampa. Deutsche Erstausgabe. Zürich: Kampa Verlag, 2018 (Fadenheftung, aber nur Pappdeckel, Grösse eines handelsüblichen Taschenbuchs).-

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