Der deutsche Idealismus ist für diese Schwülstigkeiten bekannt; dass aber ein Physiker, der sowohl am CERN als auch in den USA geforscht hat, an einem derartigen Nonsens Gefallen findet, überrascht denn doch. Ich kenne Pietschmanns Biographie nicht, vermute aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen in der Kindheit festgelegten christlichen Hintergrund. Seine Liebe zu Widersprüchen ist ganz offenkundig davon getrieben, seinen Beruf und seinen Glauben vereinbaren zu können, die kognitive Dissonanz nicht spüren zu müssen. Wie groß die Verzweiflung ist, lässt sich an Sätzen wie den folgenden ablesen: „Mir scheint aber die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Glaube nicht auf die Frage nach dem Verhältnis der beiden Bereiche zu beschränken zu sein, da es sich – wie gesagt – bei beiden eben um Tendenzen handelt, die gerade diese beiden Bereiche in Beziehung setzen.“(Hervorhebung des Originals) Als – vollkommen hirnrissigen – Beleg für diese Ansicht (die Naturwissenschaft erfasst immer nur einen Teil) führt er den Intelligenzquotienten an (und es gibt wohl kaum etwas, das weniger Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben könnte; physikalische Erkenntnisse, wie sie seiner Profession nach nähergelegen hätten, lässt er natürlich weg, weil es sich da mit der Subjektivität im Regelfall ein wenig anders verhält, im übrigen auch mit der Quantenphysik, die nämlich keineswegs ein Hort der Subjektivität ist (wie Pietschmann oft suggeriert), sondern ausnehmend exakte, intersubjektiv vermittelbare und wiederholbare Ergebnisse liefert): Durch solche billigen Täuschungsmanöver mag er vielleicht sich selbst beruhigen (oder auch seine Klientel), sie sind aber bestenfalls unlautere Mittel, sich des Denkens zu entschlagen und sich durch diese Sophistereien einreden zu können, dass der liebe Gott denn doch die Hand über ihn hält.
Resümee: Ein Buch für die Papiermülltonne und ein Autor, der im Versuch den unmöglichen Spagat zwischen Naturwissenschaft und Glauben zu machen, einzig deshalb mit Worthülsen und Begriffswolken hantiert, um die Unvereinbarkeit der Positionen nicht anerkennen zu müssen. Wobei mir solche Versuche noch sehr viel mehr zuwider sind als die jener Gläubigen, die – zumindest konsequent – jedwede Wissenschaft zurückweisen – und die Welt am 22. 10. 4004 (nach Bischof Ussher, es gibt da wundersameweise einige alternative Berechnungen), einem Samstag, beginnen lassen.
Herbert Pietschmann: Die Spitze des Eisbergs. Von dem Verhältnis zwischen Realität und Wirklichkeit. Stuttgart, Wien: Weitbrecht 1994.