Philip K. Dick: Ubik

Ubik ist eine Verballhornung des lateinischen Wortes „ubique“, das so viel bedeutet wie „überall“. In der englischen Sprache kennt man den Wortstamm durch den Begriff „ubiquitous“ – „allgegenwärtig“, „universell“. (Auch im deutschen gäbe es das Fremdwort „ubiquitär“ – aber wer kennt das schon?) Ubik wird zu Beginn eines jeden Kapitels in einer Art Überschrift erwähnt – einer Überschrift, die die Form eines Radio-Werbespots hat. Ubik kann dabei alles sein, von Bier über eine Magenpille bis hin zu einem Salat-Dressing. Und mehr. Man hat in diesen ‚Werbespots‘ eine Satire gesehen auf die Werbung, wie sie in den USA mit ihren vollmundigen Sprüchen voll im Schwange war. So eine Satire sind diese Überschriften zweifellos; sie sind aber noch viel mehr.

Das Buch ist 1969 erschienen, die Handlung spielt – wir kennen das von Dick – in einer nahen Zukunft (die für uns schon Vergangenheit ist): 1992. Psi-Talente wie Telepathen sind schon fast „normal“. Es gibt Agenturen, die solche Telepathen (z.B. zu Zwecken der Wirtschaftsspionage) vermieten, und es gibt Agenturen, die ‚Gegen-Talente‘ anbieten, die die Fähigkeiten der ‚Talente‘ zu annullieren vermögen. Glen Runciter und Joe Chip arbeiten für so eine Gegen-Talente-Agentur. Die Geschichte ist im übrigen bekannt und kann überall – z.B. auf Wikipedia – nachgelesen werden. Ich werde sie hier also nicht noch einmal zusammenfassen.

Die Literaturkritik – sofern sie sich überhaupt mit Science Fiction beschäftigt – ist sich größtenteils einig darin, dass Ubik Dicks bester Roman ist. Eine Einschätzung, die ich vollumfänglich teile. In keinem andern Roman (von denen, die ich gelesen habe) ist es Philip K. Dick gelungen, die Handlung so stringent zu führen, so wenig logische „Löcher“ darin zu lassen, wie in Ubik. Wer sich allerdings mit der Oberfläche der Handlung begnügt, wird nicht nur diesem Roman Unrecht tun, er oder sie wird ihn wohl auch als wirr und ungereimt empfinden.

Ubik ist so etwas wie ein philosophischer Roman. Das hat auch der eine oder andere Kritiker gemerkt. Schließlich hat Dick damit, dass er Joe Chip darüber sinnieren lässt, ob der Grund dafür, dass die Geräte aus dem Jahr 1992 in jenem Jahr 1939, in das er sich zurückgeworfen sieht, zwar noch existieren, wenn auch in ihrer primitiveren Form von 1939 (so wird seine Hi-Fi-Anlage zu einem simplen Mittelwellen-Radioempfänger), darin liegen könnte, dass er hier eine Manifestation der Idee ‚Fernempfang und Wiedergabe von Musik‘ vor sich habe, selber eine Spur hin zum philosophischen Roman gelegt.

Doch Dicks Roman ist komplizierter aufgebaut, als es diese simple Spur andeutet. Schon gleich zu Beginn, als die Mond-Mission von Runciter und Chip gescheitert ist und die Truppe um Chip den toten Runciter auf die Erde zurück führt, hört Chip nicht nur im Radio Verdi und Beethoven – er erinnert sich auch plötzlich an Verse aus Shakespeares Drama Richard III. Wieso letzteres? Und im Laufe des Romans muss sich Joe Chip immer mehr solche Fragen stellen: Warum dies, warum das? Und jede Antwort – sofern er überhaupt eine findet – erweist sich früher oder später als falsch oder ungenügend. (Wobei es verblüfft, wie wenig Fragen sich die Protagonisten in ihrer seltsam gewordenen Welt überhaupt stellen.)

Die Idee der ‚Idee‘ (man verzeihe mir das Wortspiel) z.B. muss Chip ad acta legen, als er feststellt, dass gewisse Geräte keinen Transfer in die Vergangenheit mitgemacht haben. Dort, wo sie standen, steht jetzt einfach nichts. Allumfassende und von Ewigkeit zu Ewigkeit in einer eigenen Sphäre existierende Ideen im platonischen Sinn gibt es also keine. Als Chip dann zu erkennen glaubt, dass seine Erfahrungen die Konsequenzen sind aus einem Kampf zwischen einer ‚guten‘ Kraft und einer ‚bösen‘, wird auch diese vermeintliche Erkenntnis einer manichäischen Weltordnung im folgenden Kapitel zunichte gemacht.

Ubik beschäftigt sich einmal mehr mit den zwei Fragen, die in allen Romanen von Philip K. Dick, die ich bisher gelesen habe, prominent sind:

  • Wer oder was bin ich?
  • Was ist die Wirklichkeit?

Es sind dieselben Fragen, die Descartes umgetrieben haben. Descartes‘ radikaler Zweifel an aller Erkenntnis beruhigte sich schließlich an zwei Feststellungen. Er hielt es für unbezweifelbar, dass ich denke, also bin ich, und dass Gott kein bösartiges Wesen ist, das mit den Menschen Jux und Dallerei betreibt, ich mich also darauf verlassen kann, dass, was ich sehe, auch in der gesehenen Form existiert. Genau bei diesen Antworten setzt nun Dick ein: Chip in seiner Halbwelt denkt – aber ist er? Und was, wenn unsere Erkenntnis unzuverlässig wäre, weil der dahinter stehende Gott zwar vielleicht nicht bösartig ist, aber kindlich verspielt seine gerade erst aus seinen Bauklötzchen gebaute Welt einreißt und neu ordnet? In der letzten Kapitelüberschrift finden wir keinen Werbespot für Ubik mehr. Ubik spricht selber. Es (oder er oder sie?) spricht von sich:

I am Ubik. Before the universe was, I am. I made the suns. I made the world. […] I am called Ubik, but that is not my name. I am. I shall always be.

Plötzlich also spricht Ubik zu uns – in Ton, Stil und Inhalt der Offenbarung des Johannes. Vergessen wir nicht: Dieser biblische Text enthält auch eine Beschreibung der Apokalypse. In einer Apokalypse finden sich auch Dicks Figuren in Ubik wieder. So darf es nicht wundern, wenn Runciter – in der vermeintlich ‚echten‘ Welt – in seiner Tasche plötzlich Münzen finden wird mit dem Porträt von Joe Chip darauf. Ihm wird schlagartig klar:

This was just the beginning.

Dicks Philosophie kippt also ganz zum Schluss ins Religiös-Metaphysische. Aber hier, wo es für Runciter erst anfängt, soll meine Besprechung ebenso ein Ende haben wie der Roman.

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