Ferdinand Beneke: Die Tagebücher. II/2: 1805-1807

  • 1805: In der Schlacht von Austerlitz zeigt sich Napoléon einmal mehr unüberwindlich. Er ist in Wien einmarschiert und regelt nun auch die politisch-geografischen Verhältnisse in Norddeutschland neu. Das Kurfürstentum Hannover schlägt er Preußen zu – ohne den englischen König zu fragen, dem es eigentlich gehört. (Vielleicht eine kleine Rache dafür, dass er kurz vorher in der Schlacht von Trafalgar gegen Großbritannien den Kampf um die Vorherrschaft zur See verloren hat – endgültig verloren hat, wie die Geschichte zeigen sollte.)
  • 1806: Napoléon verhängt die so genannte „Kontinentalsperre“ gegen Großbritannien. Britische Schiffe dürfen Europa nicht mehr anlaufen. Preußen besetzt Hannover. Der aufflackernde Widerstand Preußens gegen das Diktat von Paris wird in der Schlacht bei Jena und Auerstedt gebrochen: Napoléon zieht in Berlin ein. Am 19. November wird auch Hamburg von den Franzosen besetzt. Der Handel mit Großbritannien, der einen schönen Teil der Reichtums der Hansestadt ausmachte, wird verboten. Es kommt zu Zwangseinquartierungen. Da die französischen Soldaten und Offiziere selber schon lange keinen Sold mehr erhalten haben, müssen die Hamburger de facto für deren Lebensunterhalt aufkommen.
  • 1807: Danzig kapituliert vor den Franzosen, und in Kassel wird das Königreich Westphalen unter Napoléons Bruder Jérôme ausgerufen. Napoléon scheint in Europa schalten und walten zu können, wie er gerade will.

Aber auch:

  • 1805: In Benekes Tagebuch beginnen sich die Einträge zur Familie R., und damit zu seiner unglücklichen Liebe und seinem problematischen Freund, zu mindern. Dafür finden wir mehr und mehr Besuche bei der Familie des Senators Otto von Axen. Und rasch beginnt sich der Name von dessen ältester Tochter Karoline in den Vordergrund zu drängen. Diese ist allerdings 14 Jahre jünger als Eduard.
  • 1806: Ferdinand Beneke erklärt Karoline seine Liebe – und wird angenommen. Es kommt zum Verlöbnis – trotz Widerstands des Schwiegervaters (der es lieber gesehen hätte, dass Beneke zuerst seine Schulden abbaut, bevor er heiratet, gar die eigene Tochter heiratet). Dieser Widerstand kann jedoch überwunden werden. Die Chose wäre dann doch noch beinahe gescheitert – an Benekes eigenem hypochondrisch-bedenklichem Wesen. Erst seine Mutter kann ihn davon überzeugen, dass Karolines Verhalten nicht, wie Beneke, der notorische Schwarzseher, sofort befürchtet, ein Zeichen dafür ist, dass sie ihn verachtet, sondern im Gegenteil dafür, dass auch sie ihn liebt. (Wobei wir, denke ich, einer 17-Jährigen ein bisschen Unsicherheit bei einer Entscheidung, die den Rest ihres Lebens ändern sollte, schon zugestehen dürfen.)
  • 1807: Heirat der beiden. Karoline zieht zu Beneke, der in seinem angemieteten Haus den Dachstock ausbaut, um neben Mutter, Schwester und Bruder nun auch noch die Gattin beherbergen zu können.

Beneke summiert das Jahr 1807 in der für ihn üblichen Zusammenfassung am 31. Dezember folgendermaßen:

Dieses Jahr war für mich, insofern ich Mensch und Europens Bewohner bin, das unglückseligste, – insofern ich mich, als isolirtes Wesen betrachte, das segenvollste, – und insofern es mich beydes zur gleichen Zeit empfinden ließ, das feindlichste meines Lebens.

Seine Aussage gilt im Grunde genommen für alle 3 Jahre, die Band II/2 der Tagebuch-Ausgabe abdeckt.

Tatsächlich sieht Beneke die Hoffnung, die er vorübergehend auf Preußen gelegt hat, zu Grunde gehen. Er gehört bereits 1805 zu jenen, die „deutsch“ denken, d.h., die nur in einer Reaktion aller deutschen Staaten und Kräfte gegen Napoléon eine Hoffnung erblicken, dessen Vormachtstellung in Europa brechen zu können. Die britischen Siege gegen Frankreich nimmt er kaum zur Kenntnis, auch von den Ereignissen auf der iberischen Halbinsel, wo Frankreich und Spanien gemeinsam Portugal erobern, scheint er nicht gehört zu haben. Die Weltgeschichte ist für ihn – verständlich genug – halt dann doch auf Hamburg konzentriert.

Im Übrigen halten ihn die Ereignisse nicht nur nicht von einer Heirat ab. Sie halten ihn auch nicht davon ab, kleinere Reisen zu unternehmen – nach Lübeck, aber auch nach Göttingen und Hannover. Im ehemaligen de-facto-englischen Kurfürstentum, nunmehrigen preußischen Hannover kann er aber nicht umhin, die nach wie vor englische und nicht „deutsche“ Gesinnung der Bewohner zu verurteilen. Er träumt auch nach wie vor – zumindest ein bisschen – von der Wiedererrichtung des alten Hanse-Bundes, weil er in der alten Hanse auch die alten deutschen Tugenden verwirklicht sieht. Er schreibt einen Artikel darüber und veröffentlicht ihn im, wie er schreibt, Hanseatischen Magazin. Das irritiert mich ein bisschen: Gemäß Angaben der Bibliotheken im Internet, ist diese Zeitschrift bereits im 18. Jahrhundert eingestellt worden. Entweder hat sich Beneke bei der Niederschrift geirrt und aus nostalgischem Versehen den Namen der Zeitschrift notiert, die er einst mit gründen half, oder die Bibliographen der Bibliotheken haben Jahrgänge des Hanseatischen Magazins übersehen.

Beneke arbeitet sich auch tiefer in die Musik ein. Mozart ist immer noch sein Liebling, den er explizit Haydn vorzieht. Literarisch sind Zitate aus Jean Paul immer noch an der Tagesordnung. Abends liest er mit seiner frisch angetrauten Karoline vor dem Schlafengehen Jean Pauls Levana. Diese abendliche Lektüre mit gegenseitigem Vorlesen sollte für den Rest seines Lebens beibehalten werden, wenn Karoline und er nicht gerade durch äußerliche Umstände getrennt waren. Ein feiner bildungsbürgerlicher Zug, den uns Beneke da erblicken lässt. (Auf der anderen Seite natürlich auch ein ganz konkreter Hinweis, dass sich die beiden mit der Lektüre von Jean Pauls pädagogischem Hauptwerk aufs Kinderkriegen und -erziehen vorbereiten wollen!)

Beneke ist in dieser Zeit nicht nur innerlich und äußerlich als Ehemann und prospektiver Familienvater gewachsen. Auch sein Ansehen in der Hamburger Bürgerschaft ist unterdessen groß geworden – so groß in der Tat, dass er fürchten muss, zum Senator gewählt zu werden. Er möchte das nicht, denn das würde bedeuten, dass er viele Stunden auf diese Aufgabe verwenden müsste – Stunden, die er eigentlich braucht, um das Geld zu verdienen, mit dem er seine Familie ernährt. Die Arbeit als Senator würde ja nicht entschädigt. Aber wie könnte er absagen, ohne seine Freunde und Bekannten vor den Kopf zu stoßen, falls die Wahl auf ihn fiele? Beneke hatte sicher nichts dagegen, als dies nicht geschah – später, als Oberaltensekretär, durfte er dann auch nicht mehr gewählt werden.

Trotz der Kriegswirren finden auch zwei oder drei Berühmtheiten ihren Weg nach Hamburg, wo sie von Beneke pflichtschuldigst in Augenschein genommen werden: Seume auf einem seiner Spaziergänge, der Phrenologe Gall auf dem Höhepunkt seines Ruhms, Iffland auf dem Theater, das Beneke nach wie vor, eben so wie die Oper, regelmäßig besucht. Außerdem finden wir in seinem Tagebuch mehr und mehr kartografische Skizzen. Es geht aus Benekes Einträgen nicht hervor, ob er bereits für den Verleger Perthes Karten zeichnet; jedenfalls trifft er diesen in der Periode von 1805 bis 1807, die Band II/2 abdeckt, immer mal wieder in Gesellschaft.

Beneke also ist definitiv in der Hamburger High Society angekommen, ebenso in der lokalen Politik – und in der Liebe.

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