Ferdinand Beneke: Die Tagebücher. II/3: 1808-1810

Wie heisst eigentlich die Funktion jener Person, die verantwortlich ist für die Herstellung der kleinen Schildchen auf dem Buchrücken, mit denen Leinenbände angeschrieben sind, wenn der Verlag nicht auf Prägung zurückgreifen will? Ich meine: Irgend jemand muss doch auch diesen Job machen. Wie dem auch sei: Dieser oder diese Irgend Jemand hat sich bei Band II/3 einen kleinen Faux-pas geleistet. Der Band, der eigentlich ja die Tagebücher von 1808 bis 1810 enthält (und sogar auf dem vorderen Buchdeckel so angeschrieben ist), trägt auf seinem Rückenschildchen stolz die Bezeichnung Die Benecke-//Tagebücher//–//II/3//Beilagen//1808 bis//1810. Doch bei den Beilagen sind wir noch lange nicht. Ich überlegte mir zuerst, den Band an den Wallstein-Verlag zurückgehen zu lassen, habe mir aber dann gesagt: „Wer weiß? Vielleicht funktioniert das mit Büchern ja ähnlich wie mit Briefmarken, wo Fehldrucke gesuchter sind als korrekte Exemplare, und der Band wird durch diesen Fehler wertvoller als ein korrekt etikettierter?“ Zugegeben: Davon werden allenfalls die Erben meiner Erben etwas haben, aber ich habe den Band trotzdem so behalten. Der Inhalt ist ja schliesslich der richtige: Die Tagebuch-Einträge des Ferdinand Beneke von 1808 bis 1810.

Somit schließt dieser Band die Lücke, die die vorgezogene Publikation der Tagebücher von 1811 bis 1816 aufgerissen hatte – zumindest, was die eigentlichen Tagebücher betrifft. Die Beilagen folgen noch. Und in den Jahren, die nun vor uns liegen, erlässt Beneke eigentliche Reglemente, was Beilagen zu seinen Tagebüchern betrifft:

Neue BeylagenOrdnung

Die Ordnung von 1805 wird aufgehoben. Geschäftsbriefe fallen gänzlich aus dem Zusammenhange mit dem Tagebuch heraus, und werden sofort zu den Akten gelegt. – Die Briefliste wird dadurch überflüßig. – Sämtliche PrivatAngelegenheiten betreffende Briefe, Billets, und andere aufzubewahrende biographische Anhängsel werden am Rande des Tagebuchs mit ihrer Zahl bemerkt, und hinter denselben in einem Fascikel beigelegt.

So auf dem Vorsatzblatt von 1808. Beneke kann den Juristen selbst in seinem Tagebuch nicht verleugnen.

Im Jahre 1808 sind nur wenig eigentlich politische Einträge zu finden. Mitteleuropa erholt sich von den großen Schlachten der Vorjahre, und die europäischen Staaten machen sich daran, sich gegen innen wie nach außen neu zu organisieren, man ist versucht zu sagen: neu zu erfinden. Einzig auf der iberischen Halbinsel wird wirklich weiter gekämpft; aber die ist für Beneke offenbar zu weit weg, um ausführlich Erwähnung zu finden in seinem Tagebuch. 1809 tritt die Politik wieder in ihr Recht ein, denn jetzt wird auch in Mitteleuropa wieder gekämpft. Beneke nimmt erfreut erste Freischaren zur Kenntnis – er ist unterdessen von dem Gedanken einer neuen Hanse abgerückt und zum glühenden, wenn auch etwas weltfremd-idealistischen „Deutschen“ geworden, der seine Haupthoffnung im Kampf gegen Napoléons Frankreich abermals auf Preußen setzt. Noch allerdings gelingt der Anti-Napoléon-Koalition kein entscheidender Sieg auf dem Schlachtfeld. Ähnlich 1810: Jetzt steht das Französische Kaiserreich sogar auf dem Höhepunkt seiner Macht. Weite Teile Europas werden von der Familie Napoleon Bonapartes beherrscht. Hamburg kriegt diese Übermacht ebenfalls zu spüren, indem gegen Ende des Jahres die Gerüchte endgültig bestätigt werden, nach denen die Stadt ihre nach wie vor existierende Form eines (Vasallen-)Staats aufgeben muss und Teil des Französischen Kaiserreichs zu werden hat – die Situation, in der wir dann Hamburg und Beneke zu Beginn der III. Abteilung der Tagebücher vorgefunden haben.

Privat ist Beneke immer noch glücklich und relativ frisch verheiratet. Im Laufe der von dieser Abteilung abgedeckten Epoche werden ihm seine beiden ältesten Töchter geboren. Schwangerschaft und Geburt scheinen in beiden Fällen recht unkompliziert zu verlaufen; jedenfalls findet man keine anderslautenden Einträge. Ehefrau Caroline stillt beide Kinder selber – was beim ersten zu Komplikationen in Form einer Entzündung der einen Brust führt. Außerdem scheint die Kleine in die Kategorie jener Säuglinge zu gehören, die sich einen Spaß daraus machen, an der Mutterbrust nicht nur zu saugen, sondern auch deftig hinein zu beißen. Caroline leidet, gibt aber nicht auf, und das zweite scheint diesbezüglich keine Probleme zu machen. Die Kinder machen Benekes privates Glück komplett – er hatte sich seit je eine richtige Familie gewünscht.

Die Schwangerschaften und die Geburten unterbrechen den häuslichen Rhythmus, der ansonsten recht fix ist. Am Morgen pflegt Beneke mit seiner Frau zu kneipen, wie er es nennt, und womit er ganz simpel meint, dass er sich beim Frühstückskaffee mit ihr seine Zeit lässt. Vor 10 Uhr scheint er nicht mit seiner Arbeit zu beginnen, wobei der Vormittag den Besuchen seiner Klienten gewidmet ist. Sein Wohnhaus ist gleichzeitig seine Anwaltspraxis. Dann folgt das Mittagessen, kombiniert mit einem langen Spaziergang, wenn es das Wetter nur irgendwie erlaubt. Nachmittags wohl ein bisschen Aktenstudium, dann ist man oft irgendwo eingeladen oder hat selber Gäste. Abends wird dann bis ungefähr halb 9 nochmals Aktenstudium betrieben, bevor das Eehpaar – nach einer Stunde gemeinsamer Lektüre – schlafen geht.

Manchmal scheint Beneke allerdings ganz verwegen diesen Ablauf abzuändern – es finden sich Hinweise darauf, dass er oft auch am Morgen mit seiner Frau zusammen liest. An Lektüre habe ich gefunden: Jean Pauls Titan, der unmittelbar auf Levana folgt, von deren Lektüre Beneke im Jahr 1807 berichtete; von Kant etwas, das er Geografische Schriften nennt; Schillers Geisterseher; Klopstocks Messias (kein Wort davon, wie er ihnen gefällt und ob sie ihn zu Ende lesen); von Kotzebue etwas über Preußens ältere Geschichte; Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft; von Herder ein paar Predigten (die gefallen ihnen weniger); Jahn taucht zum ersten Mal auf mit seinem Werk Deutsches Volksthum; Schlegel mit einer Vergleichung der griechischrömischitalienischen Baukunst… [sic!]; Stolberg Über die deutsche Sprache. Nicht immer ist es einfach, zu eruieren, was er da von den einzelnen Autoren genau gelesen hat. Eine zunehmende Tendenz zum Deutschnationalen ist unübersehbar. Es fällt auf, dass die beiden durchaus zeitgenössische ‘Hochliteratur’ lesen; auch wenn ein Kant, ein Schiller oder ein Klopstock unterdessen tot sind. Benekes waren durch und durch Bildungsbürger.

Von namhaften Persönlichkeiten gibt es in diesen Jahren wenig zu berichten: Iffland schaut ein paar Mal in Hamburg vorbei. Mit Jean Paul tritt er zu Beginn des Jahres 1808 in einen Briefwechsel – ein Briefwechsel, der bereits Ende 1810 einschlafen sollte. Das Tagebuch gibt zu den Gründen nur kryptische Bemerkungen – Jean Paul schätzte Napoléon etwas anders ein als Beneke, der ihn (unterdessen glühender Deutschnationaler!) zutiefst hasste. Nun ist Beneke von seinem Idol Jean Paul zutiefst enttäuscht.

Beneke ist nun auch tatsächlich als Kartograf für Perthes tätig. Sein diesbezüglicher Ruhm ist bereits über Hamburg hinaus gedrungen: Bertuch vom Weimarer Industrie⸗Comptoir lädt ihn ein, ihm ein paar Karten für seine Zeitschriften, wenn nicht zu zeichnen, so doch zu verbessern. Im Zusammenhang mit seinem kartografischen Interesse ist bei Beneke auch ein geologisches erwacht. Er macht in den Jahren von 1808 bis 1810 nur wenige und nur kleine Reisen – die meisten davon gehen ins Hamburgische Umland, wo er die Gegend und die Gesteinsformationen besser kennen lernen will. Einmal reist er mit seiner Frau für ein paar Tage nach Bremen, wo sie seine Jugendfreunde kennen lernen soll. Ansonsten fehlt es Beneke nicht nur an Reiselust – die haben ihm die Franzosen verdorben – sondern auch an den Finanzen zum Reisen. Er hat zwar, wie er schreibt, immer mehr Klienten in seiner Anwaltspraxis – aber die können immer weniger zahlen. Mehr Arbeit für weniger Rendite also.

Eigentlich müsste man nun zumindest das Tagebuch des Jahres 1811 nochmals lesen. Ich werde allerdings einen Schritt zurück gehen und mich demnächst den Beilagen zu den Jahren 1802 bis 1805 widmen. Die Einblicke, die uns Beneke in das Privat- und Alltagsleben am Beginn des 19. Jahrhunderts gewährt, sind höchst interessant.

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