Elizabeth Kolbert: Das sechste Sterben

Fünf große Aussterbeereignisse sind aus der Geschichte bekannt, ob wir uns derzeit in einem sechsten befinden, das auch eine neue Epochenbezeichnung verdienen würde, ist umstritten. Aber allenthalben ist vom Anthropozän die Rede, von einem Zeitalter, in dem der Mensch einen ungeheuren (negativen) Einfluss auf die Artenvielfalt der Erde nimmt.

Dieses sechste Sterben (dessen Geschwindigkeit mit den größten Extinktionen an der Perm-Trias-Grenze und dem Ordovizium-Massensterben verglichen wird) ist Thema dieses Buches, wobei Kolbert auf die verschiedenen, menschengemachten Ursachen eingeht. Zum einen ist da natürlich die Klimaerwärmung mit all ihren Folgen für die unterschiedlichsten Bereiche: Übersäuerung der Meere, Reduktion der Arten vor allem im tropischen Bereich (der für einen Gutteil der Tiere und Pflanzen schlicht zu heiß wird), zum anderen sind es die Einbringung fremder Arten in Gebiete, wodurch die autochthone Fauna und Flora ins Ungleichgewicht gerät. Die Autorin schildert eindrucksvoll die Einschleppung eines für die amerikanischen Amphibien tödlichen Pilzes (der der Froschpopulation auf dem gesamten Kontinent den Garaus macht) oder das Sterben amerikanischer Fledermäuse (die ebenfalls einem Pilz zum Opfer fallen, gegen den die europäischen Arten immun zu sein scheinen). Dazu kommt die Ausrottung fast aller großer Tiere (vom Mastodon über das Mammut, unzähliger Riesenvögel bis zum Dodo und dem Alk, des Riesenbiber, der Riesenfaultiere u. v. m.) bis zur Gefährdung der noch lebenden großen Arten (fast alle Nashörner zählen dazu, Großkatzen, Elefanten, Gorillas), die durch die Ausbreitung des Menschen ihrer Habitate verlustig gehen.

Das liest sich wie ein großer Abgesang auf die Artenvielfalt (wobei große Arten noch eher eine Lobby haben, Insekten können kaum auf süße Gefährdungsfotos zählen wie etwa Pandabären), dem deshalb relativ wenig Beachtung geschenkt wird, weil dieses Sterben in einem für das menschliche Empfinden sehr langsamen Tempo vor sich geht (tatsächlich aber steigt der CO2-Gehalt derzeit schneller an als beim großen Sterben – wahrscheinlich von sibirischen Vulkanen ausgelöst – an der Perm-Trias-Grenze). Artenvielfalt ist für die meisten ein rein theoretischer Begriff; da die Hälfte der Menschen in Städten wohnt, werden Arten bestenfalls mit Haustieren, Stechmücken oder dem hiesigen Zoo assoziiert. Dabei geht es bei allem Umwelt- und Artenschutz nie um diese Umwelt, nie um ein bestimmtes Lebewesen – es geht einzig um unser eigenes Überleben. Die Umweltzerstörung ist bloß ein Indikator für eine Gesellschaft, die so nicht überlebensfähig sein wird (und sollte der Mensch tatsächlich aussterben – um das selbst zu bewerkstelligen haben wir zahlreiche Mittel – wäre das für die überlebenden Art das größtmögliche Glück).

Das Buch beschreibt anhand anschaulicher, nicht reißerischer Fallgeschichten diesen Artenmassenmord. Und es sind nicht die Fakten dieses Sterbens, die erschüttern, sondern die Ignoranz, mit der diese Dinge hingenommen werden. (Einziger Kritikpunkt am Buch: Ein kurzer Ausflug in die Wissenschaftsgeschichte bzw. -methodologie, die von stupender Unkenntnis zeugt in Bezug auf die Fähigkeit des Kuhnschen Paradigmenwechsels, auch nur irgendetwas zu erklären, was über eine triviale Erkenntnis hinausgeht. Wenn man von diesen Dingen keine Ahnung hat, sollte man sich ein solches Renommieren mit philosophischen Versatzstücken ersparen.)


Elizabeth Kolbert: Das sechste Sterben. Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt. Berlin: Suhrkamp 2015.

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