Urheberrecht bzw. Copyright waren in der Antike unbekannt. So kommt es, dass wir in den Büchern zur Botanik und zur Pharmakologie der Naturgeschichte des Plinius immer wieder Passagen finden, in denen der Autor – so, wie man später ihn selber ebenfalls aus- und abschreiben sollte, ohne ihn jedes Mal beim Namen zu nennen – in denen der Autor also Texte seiner Vorgänger übernimmt oder paraphrasiert, oft ohne Hinweis auf seine Quelle. Doch zuerst ein paar Worte zu der Ausgabe, in der ich die Naturalis historia lese.
Es handelt sich um eine Leseausgabe der 1973 bis 2004 in der Sammlung Tusculum erschienen lateinisch-deutschen, kompletten Naturgeschichte. Der lateinische Text wurde für die Leseausgabe ganz weggelassen, und aus den 32 Bänden der Sammlung Tusculum wurden deren fünf gemacht. Das geht natürlich nicht ohne Streichungen und Auslassungen. Die ersten drei Bände brachten noch lückenlos die Original-Bücher 1 bis 11. Band IV aber zeigt nun den Mut zur Lücke. Wir finden darin die Bücher 17 und 19 zur Botanik, sowie die Bücher 23 und 31 zur Pharmakologie. So weit ich das an Hand der mir vorliegenden Bücher beurteilen kann, will mir scheinen, dass wir wenig verlieren, weil Plinius in den Büchern 12 bis 19 (= Botanik) bzw. 20 bis 32 (= Pharmakologie) sehr redundant gearbeitet hat. Wir finden jedenfalls immer wieder Rückverweise auf bereits Beschriebenes, was Plinius dennoch nicht davon abhält, zumindest einen Teil des bereits Erklärten nochmals zu erklären. Ich weiß nicht, ob der Autor geplant hatte, diesen Teil seines Werks noch zu straffen. (Er war ja, als ihn beim Ausbruch des Vesuvs der Tod ereilte, keineswegs mit seiner Naturgeschichte fertig.)
Wir haben also in Buch 17 die Nutzbäume vor uns. Wie schwierig die Trennung von Wild- und Nutzpflanzen im alten Rom war, zeigt die Tatsache, dass Plinius immer wieder auf bereits in Buch 16 (dem über Wildbäume) vorgestellte Bäume oder Behandlungsarten zurück verweist. Es geht bei den Nutzbäumen zunächst darum, was wo wächst. Plinius ist dabei durchaus in der Lage, in seinen Tipps regionale Unterschiede anzuerkennen, so soll zum Beispiel der Weinstock je nach klimatischen Bedingungen auf eine andere Himmelsrichtung ausgerichtet werden: in Afrika nach Norden, nördlich der Alpen eher nach Süden. Ein anderer, großer Teil von Buch 17 ist dem Okulieren und Pfropfen von Bäumen gewidmet.
Buch 19 widmet sich den Gartenpflanzen, wobei Plinius (in diesem Kapitel zumindest) unter „Garten“ primär einen Nutz- oder gar Gemüsegarten versteht. Auch hier geht es darum, was wo, wann und wie angepflanzt werden soll. Es ist manchmal schwierig, die antiken Nutzpflanzen zu erkennen. Einiges davon verwenden wir auch noch heute, anderes wird unterdessen nicht mehr zum Verzehr angepflanzt. (Denn das steht natürlich hinter beiden Büchern: Nutzpflanzen sind welche, die vom Menschen – oder allenfalls vom Vieh – verzehrt werden sollen und können. So fehlen selbst rudimentäre Anleitungen zur Zubereitung nicht.
Beide Bücher stellen frühe Beispiele von eigentlichen Do-it-yourself-Ratgebern dar. Plinius war damit allerdings nicht der erste. Er hat im Gegenteil von einem seiner bekannten Vorgänger hierin (nach heutigem Verständnis ziemlich schamlos) abgeschrieben. Die Rede ist für einmal nicht von Vergil (obwohl Plinius auch von ihm ’stibitzt‘ hat), sondern von Cato und dessen De agri cultura (Über den Ackerbau), das einem ganzen Fachgebiet seinen Namen geben sollte. Solch ein Ab- und Ausschreiben ist nach heutigem Verständnis verpönt; damals war es allgemein akzeptierter Brauch. Schließlich hatte nicht jeder jedes Buch bei sich zu Hause und öffentliche Bibliotheken gab es keine. Also musste Wissen durch Abschreiben verbreitet werden. Immerhin verdanken wir es in vielen Fällen diesem Brauch, dass wir heute von einigen antiken Werken zumindest noch Fragmente besitzen. Wo es dann um die Beschreibungen der verschiedenen Pflanzen geht, kopiert Plinius von einem anderen Mann: dem Aristoteles-Schüler und bekannten Botaniker Theophrast. Auch hier oft, ohne die kopierten Textstellen kenntlich zu machen.
Buch 23 behandelt die Heilmittel aus Naturpflanzen. Stark verkürzt und etwas satirisch könnte man sagen: Plinius beginnt mit dem Wein, der in allen Variationen als Heilmittel verwendet wird – vermischt und unvermischt, als Grundlage von Salben oder Pflastern, getrunken, eingerieben, inhaliert. Vom Wein ergibt sich ein natürlich-logischer Übergang zum Essig – auch hier: vermischt und unvermischt, als Grundlage von Salben oder Pflastern, getrunken, eingerieben, inhaliert. Vom Essig geht es zum Öl: vermischt und unvermischt, als Grundlage von Salben oder Pflastern, getrunken, eingerieben, inhaliert. Halbe Mahlzeiten als Heilmittel! Und wenn es nicht Wein, Essig oder Öl waren, konnte Plinius auch schon mal erwähnen, dass es diesen oder jenen Spruch gäbe, der… Doch nein, an solche Dinge glaubte er dann doch nicht. Behauptet er jedenfalls. Erwähnt werden musste die magische Medizin aber der Vollständigkeit halber, zumal er ja auch Belege bei Cato gefunden hat, den er hier als Zeugen aufruft. Die magische Medizin war im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung keineswegs tot, wenn sie auch bei den Gebildeten in schlechtem Ansehen stand. Und um Plinius gerecht zu werden, muss man natürlich wissen, dass so seltsam seine Vorschriften denn doch nicht sind: Rein-Alkohol gab es im alten Rom noch nicht, ebenso wenig wie andere Öle, als welche, die auch als Speiseöle dienen konnten. (Allerdings erwähnt er im Zusammenhang mit warmen Quellen und Vulkanen auch Orte, in denen Teer, Erdöl oder -gas aus dem Boden strömen.) Denn die eigentlichen Wirkstoffe der Salben und Pflaster brauchten eine Trägersubstanz – das römische Wasser war denkbar ungeeignet dafür, weil nicht immer von besonderer Qualität.
Unter anderem dazu kommen wir in Buch 31, Heilmittel aus dem Wasser. Der Titel ist doppeldeutig zu verstehen. Einerseits spricht Plinius in diesem Buch über Heilmittel, die aus Wasser zubereitet werden, bzw. über heilende Quellen und Bäder. Andererseits kommt er zum Schluss des Buchs auch auf Heilmittel zu sprechen, die aus Tieren oder Pflanzen gewonnen werden, die im Wasser zu finden sind – vor allem die Schwämme haben es ihm angetan. Wenn Plinius übers Wasser spricht, dann auch darüber, dass nicht jede Quelle, jedes Wasser, problemlos getrunken werden kann – etwas, das wir, zumindest in Mitteleuropa, gern vergessen, wo wir einfach einen Wasserhahn aufdrehen und was da heraus fließt, ohne weiteres trinken können. Plinius war sich noch dessen bewusst, dass es Mineralien und andere kaum bemerkbare Stoffe gibt, die Wasser ungenießbar oder gar giftig machen, und so gibt er auch Tipps, woran man solches Wasser erkennen könne. Last but not least war schon zu seiner Zeit bekannt, dass Wasser abzukochen dessen Zuträglichkeit erhöht. (Wenn es übrigens ums Erfassen von Quellen bzw. die Erstellung von Wasserleitungen geht – auch das thematisiert Plinius – schreibt er wiederum bei einem ‚Kollegen‘ ab, ohne ihn zu nennen. Diesmal bei einem anderen: Vitruv. Man muss es Plinius lassen: Er wusste Autoren von Qualität zu erkennen…)
Diese Teile der Naturalis historia des Plinius enthalten mindestens so viel Kulturgeschichte wie Natur- oder Wissenschaftsgeschichte und ist deshalb für diesbezüglich Interessierte sehr zu empfehlen.
C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde. Band IV: Botanik • Medizin und Pharmakologie. Herausgegeben und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Joachim Hopp, Karl Bayer und Wolfgang Glöckner. Textauswahl Joachim Hopp. (= Ausgewählte Werke, Band IV). Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2008