Richard Leakey, Roger Lewin: Die sechste Auslöschung

Dieses Buch war eine Art Vorübung für den aktuellen und umfangreichen Band zum Thema Artenvielfalt von Matthias Glaubrecht: „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“. Richard Leakey ist der Sohn von Louis und Mary Leakey, die beide zu den Großen der Paläoanthropologie gehörten. Richard folgte den Spuren seiner Eltern, ohne eine akademische Ausbildung genossen zu haben und wurde als Entdecker des Nariokotome-Jungen und engagierter Kämpfer des Umwelt- und Naturschutzes bekannt.

In diesem Zusammenhang ist der Titel des vorliegenden Buches zu verstehen: Nach den fünf großen Aussterbeereignissen (deren letztes am Ende der Kreidezeit uns Säugetieren den Aufstieg ermöglicht hat) konstatiert Leakey, dass wir gerade das sechste solche Ereignis erleben – diesmal nicht ausgelöst durch eine kosmische Katastrophe, sondern durch den Menschen. Dabei weist der Autor auf die für jene Zeit noch nicht selbstverständliche Erkenntnis der Bedeutung dieser Katastrophen für die Evolution hin, eine Bedeutung, die der Betontung Darwins auf eine nur graduelle, langsame Entwicklung widersprach. Denn mit dem Katastrophismus verband man immer noch jene im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts vertretenen Theorie, derzufolge der liebe Gott mittels Sintflut in die Geschichte eingegriffen habe und die daher als völlig unwissenschaftlich verpönt war.

Mittlerweile zweifelt man nicht mehr am Einfluss solcher katastrophalen Ereignisse auf den Gang der Evolution, die nach einem solchen Vorkommnis zu neuer Formenvielfalt ansetzt. Die derzeit stattfindende sechste Auslöschung ist also im Grunde nichts wirklich Neues, sie sollte uns aber zu denken geben, sofern uns am Weiterbestand der Gattung Homo gelegen ist. Hier beschreibt Leakey in einem eigenen, umfangreichen Kapitel die sensible Ökologie der Lebensräume (weshalb uns die Vernichtung irgendwelcher Käfer in den Tropen durchaus berühren sollte – abgesehen von einer ethischen Verpflichtung allen Lebewesen gegenüber und dem unersetzlichen Verlust einer genetisch einzigartigen Lebensform), wobei er auf die ungeheure Komplexität der Vorgänge aufmerksam macht: So können – wie er aus seiner Erfahrung als Leiter des Kenya Wildlife Service berichtet – gutgemeinte Eingriffe das Gegenteil von dem bewirken, was intendiert war. Man rettet vielleicht kurzfristig den Bestand einer Population, verhindert aber in weiterer Folge dadurch das Weiterbestehen jener Vielfalt, die erhalten werden soll.

Am Beispiel der Elefanten zeigt er diese Problematik auf: Über das Ausdünnen der Bestände wurde versucht Einfluss zu nehmen, aber dies hatte zur Folge, dass die dadurch unterbundenen Verwüstungen den Lebensraum für andere Tiere (etwa Zebras und Antilopen) nicht öffneten. So schien der einzig gangbare Weg darin zu bestehen, die Verwüstungen hinzunehmen, Teile der zu großen Elefantenherde dem Verhungern auszusetzen, weil sich nur dadurch das Gleichgewicht in diesem Gebiet aufrecht erhalten ließ. Kein Eingriff schien der beste Weg zu sein, weil sich die Konsequenzen selbst bei gutgemeinten Maßnahmen nicht abschätzen ließen.

Insgesamt ein sehr kluges und weitsichtiges Buch, das viele spätere Erkenntnisse vorwegnahm – u. a. die ungeliebte Einsicht in das zufallsbedingte Agieren der Natur, das einerseits zu einer intelligenten Spezies führte (aber keineswegs führen musste), andererseits die Bedeutung des Zufalls für alle Lebensräume betonte (bei annähernd gleichen Ausgangsbedingungen lässt sich die Zusammensetzung eines Lebensraumes schlicht nicht vorhersagen). Ein immer noch aktuelles und lesenswertes Buch zum Thema Ökologie, Artenvielfalt und Evolution.


Richard Leakey, Roger Lewin: Die sechste Auslöschung. Lebensvielfalt und die Zukunft des Menschen. Frankfurt a. M.: Fischer 1996.

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