Carl Wilhelm Weber: Perikles

Weber ist mit zahlreichen Publikationen zur Antike bekannt geworden: Und er wurde meist ein wenig despektierlich behandelt – als jemand, der da die alte Geschichte für den interessierten Laien aufbereitet (was denn auch tatsächlich der Fall ist). Das muss aber keineswegs Oberflächlichkeit bedeuten oder auch – wie auf dem Schutzumschlag vermerkt „ohne wissenschaftliche Ambitionen, wenn auch auf Grundlage der einschlägigen, wissenschaftlichen Quellen […]“. Was sind denn nun „wissenschaftliche Ambitionen“ in den Augen des Redakteurs des Tagesspiegels (von dem die zitierte Bemerkung stammt), eine völlige Neuinterpretation der klassischen, griechischen Epoche (anhand welcher neuer Quellen?), eine philologische Aufarbeitung der wenigen Originaldokumente, die zur Verfügung stehen – vor allem aber – abgehobene Sprache, die einzig dem vorgestellten Wissenschaftsstandard zu entsprechen scheint? Dabei nimmt Weber sich durchaus kein Blatt vor dem Mund, wenn es um fragwürdige Darstellungen der klassischen griechischen Epoche geht (und gerade im deutschen Sprachraum wurde da häufig unkritisch verehrt – und missbraucht) – und er belegt diese seine Kritik mit Quellenangaben und schlüssigen Folgerungen. Hier wären viel eher die zahllosen verklärenden Darstellungen der Literatur- und Philosophiegeschichte akademischer Provenienz zu kritisieren, unreflektiertes, hymnisches Pathos, das dann die Deutschen als die wahren Nachfolger der Klassik auf sich selbst anzuwenden pflegten.

Weber legt hier eine gut lesbare, umfangreiche und mit zahlreichen Quellenangaben gespickte Biographie vor, die die Zeit von den Perserkriegen bis zum Ausbruch des peloponnesischen Bruderkrieges umfasst und eingehend (unter Zuhilfenahme von Plutarch, Thukydides & Co.) jene Epoche beleuchtet, die als Geburtsstunde der Demokratie gilt. Wobei der Autor betont, wie sehr sich jene Staatsverfassung von unseren demokratischen Vorstellungen unterschieden hat, er aber auch auf das Grundsätzliche einer neuen Form der Regierung nicht müde wird hinzuweisen (es war ein wirklich einzigartiges Experiment). Perikles war ein Aristokrat (aus dem Geschlecht der Alkmeoniden), dessen Besinnung auf demokratische Tugenden wohl nicht ganz uneigennützig war: Galt es doch die Oligarchen um Timon abzulösen und selbst zur Herrschaft zu kommen. Neben diesem „Willen zur Macht“ erkannte er aber auch die Vorteile einer freiheitlichen Verfassung (die sich als ein Gegenpol zur spartanischen, totalitären Herrschaft verstand, der später Platon Blumen gestreut hat): Freiheit bedeutet hier u. a. wirtschaftliche Freiheit (die die ökonomische Grundlage bildete), aber auch Freiheit zur Dekadenz und Verschwendung (der Perikles selbst nicht anhing, galt er doch den Ausschweifungen als wenig zugetan). Und es war vor allem die Freiheit der Athener: Perikles nützte (wie zuvor die Oligarchen) den attisch-delischen Seebund als Machtinstrument, verwendete die Bündnisgelder unverfroren für athenische Zwecke (die wir in Gestalt zahlreicher Bauten noch heute bewundern dürfen) und hielt wenig von einer Gleichberechtigung der Partner (Samos hat etwa zu spüren bekommen, was einem abtrünnigen „Partner“ in dieser Gemeinschaft drohte).

Interessant in der Darstellung (wie etwa auch bei Thukydides) ist das „Ewige“ in der (Macht-)Politik: Hier wird man vergeblich nach einem Unterschied zu den heutigen politischen Verhältnissen suchen, man schließt Bündnisse, löst diese bei vermeintlichen Vorteilen auf, versucht vor allem für die eigene Stadt (das Land) Vorteile herauszuschlagen (einzig mit militärischen Drohungen ist man heute ein wenig vorsichtiger – wobei: Wenn es sich um einen offensichtlich schwächeren Gegner handelt, scheut man nicht vor dem entsprechenden Druck zurück – Irak, Ukraine, Georgien (Abchasien)) und verkennt in dieser Kurzsichtigkeit die Möglichkeiten, die in einem gemeinsamen Handeln bestehen (mit Gewinn für beide, alle Seiten). Nichts Neues unter der Sonne seit 2500 Jahren … Diesbezüglich war Perikles auch wenig weitsichtig.

Wer in diesem Buch auf eine Hommage an die aufblühende Philosophie,die vermeintlich schöngeistigen Salons (mit Aspasia als Gastgeberin) wartet, wird enttäuscht werden: Außer der Freundschaft Perikles‘ mit Anaxagoras und der Erwähnung des Prozesses gegen Letzeren wegen Asebie (wobei sich das alles eigentlich gegen Perikles selbst bzw. seine überragende Stellung richtete) gibt es nach Weber nicht viel zu berichten. Aufklärerische Salons wie in Frankreich des 18. Jahrhunderts hat es dort nie gegeben (und die Stellung der Frau hätte derlei nie zugelassen, selbst Aspasia, die als Milesierin eine andere, offenere Erziehung genossen hatte, wurde vor Gericht gebracht – wobei das wirkliche Ziel wieder Perikles war), die Literaten finden nur Erwähnung, wenn ihre Stücke politische Anspielungen enthalten. Weber ist es auch nicht um Geistes-, Philosophiegeschichte zu tun, sondern um die Darstellung des Politikers Perikles, jenes Mannes, der sich über Jahrzehnte an der Spitze Athens halten konnte (nicht als Tyrann, sondern durch Wahl, was keine geringe Sache war).

Ein ungeheuer faktenreiches Buch, das mit einigen Klischees die klassische griechische Epoche betreffend aufräumt, immer um Objektivität bemüht und nirgendwo in dümmliche Lobhudelei verfallend (wie das denn bei Biographien so häufig der Fall zu sein pflegt). Und es genügt auch allen wissenschaftlichen Standards (ich wäre froh, wenn ich überall derart penible Quellenangaben finden würde).


Carl Wilhelm Weber: Perikles. München: List 1992.

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