Michail Bakunin: Gott und der Staat

Auch Bakunin stammte, wie Tolstoi, wie Kropotkin, aus dem russischen Adel, von dem er sich lossagte, als er – schon früh mit den Schriften Hegels und vor allem Fichtes bekannt geworden – 1840 beschloss, statt eine Karriere im militärischen oder zivilen Bereich des Zarenreichs anzustreben, in Berlin Philosophie zu studieren. Sein erklärtes Ziel war es, später in Moskau eine Professur für Philosophie zu übernehmen / zu erhalten, um das Volk bilden zu können. So weit kam es nicht. Spätestens im Frühling 1842, in Dresden, radikalisierte sich Bakunin. Er würde zwar nie die Anwendung von Gewalt gutheißen, aber von da an gehörte er zum äußersten linken Flügel des Hegelianismus. Verfolgungen und Haft in Deutschland, Österreich und Russland waren die Folge.

Mangels Katheder war Bakunin gezwungen, seine Ansichten schriftlich niederzulegen. Er gehörte dabei leider zu den Autoren, die zwar viele Werke beginnen, aber nur die wenigsten, zumindest von den größeren, so weit zu Ende führen, dass sie publiziert werden können. Auch Gott und der Staat ist so ein Fragment, dem der ganze zweite Teil fehlt. Das macht es einigermaßen schwierig, das Buch überhaupt zu bewerten.

Der Autor geht aus von einem prinzipiellen Widerspiel von Idealismus und Materialismus. Den Idealismus identifiziert er dabei nicht nur mit den ‚klassischen‘ idealistischen Philosophen. Er weitet den Begriff sogar beträchtlich aus. Platons Idee, so kurz zusammengefasst seine Argumentation, wurde nämlich in späteren Zeiten von Vertretern der Religion, also den Theologen, dazu verwendet, einen idealen Gott zu postulieren. Einen Gott. Dieser Gott wurde seinerseits zur Rechtfertigung der in einer einzigen Person konzentrierten Macht in der Monarchie. Daran änderte auch die ausführlich besprochene Renaissance nichts. Und selbst wenn die französischen Aufklärer der Monarchie mehr oder weniger ablehnend gegenüberstanden: Auf Gott wollten sie nicht verzichten (so Voltaire, der bekanntlich gesagt hatte, wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden – um, so der Zusatz Bakunins, das dumm gehaltene Volk weiter dumm und im Zaum zu halten). Und wenn es nicht der christliche Gott war, dann wurde der Staat so weit vergöttert, dass er eine vom Menschen unabhängige und ihm überstellte Institution wurde (Rousseau, Robespierre). Selbst halbwegs demokratische Länder wie die USA oder die Schweiz bildeten eine politische Kaste aus, die die alte göttlich-monarchische Führerposition im Staat einzunehmen bestrebt ist.

Bakunin nimmt offenbar eine zielgerichtete Entwicklung der Menschheit an – etwas, das er mit dem ganzen Hegelianismus von Hegel an bis und mit seinem Intimfeind Marx teilt, und das für Nicht-Hegelianer oder Nicht-Dialektiker den ganzen (deutschen) Idealismus bis hin zu Marx, Engels, Lenin und Stalin so verflucht ungenießbar macht.

Leider – und das macht dieses Buch, wie gesagt, schwer einschätzbar – bricht der Text ab, nachdem Bakunin die geschichtlichen Voraussetzungen seiner Staatsphilosophie skizziert hat. Wir erfahren aus Gott und der Staat , wie sich seiner Meinung nach die aktuelle (= idealistische) Position gebildet hat, nicht aber, wie die materialistische Gegenposition, zu der Bakunin offenbar auch sich selber zählt aussehen sollte.

Nachdem ich gezeigt habe, wie der Idealismus, ausgehend von den unsinnigen Ideen von Gott, der Unsterblichkeit der Seele, der angeborenen Freiheit der Individuen und ihrer von der Gesellschaft unabhängigen Moral, naturnotwendig zur Weihe der Sklaverei und der Unsittlichkeit gelangt, muß ich jetzt zeigen, wie die wahre Wissenschaft, der Materialismus und der Sozialismus […], ebenso notwendig herauslaufen auf die Errichtung der größten Freiheit der Individuen und der menschlichen Sittlichkeit.

Damit endet der Text.


Gelesen in folgender Ausgabe:

Michail Bakunin: Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag, 1995.

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